Koboldmaki oder Was will man mehr?

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Der Ehemann kam nach Hause, und direkt an der T;rschwelle, ohne seine Schuhe oder Mantel auszuziehen, platzte heraus: „Anna! Wir m;ssen miteinander reden!“ Und dann, im selben Atemzug, mit gro; aufgerissenen Augen und ohne auch nur einer minimalen Pause: „Ich habe mich verliebt!“
„O-la-la“, dachte Anna. „Die Midlife-Crisis hat auch unsere Familie nicht verschont. Na, herzlich willkommen!“ Ohne ein Wort zu sagen schaute sie ihren Mann ganz genau an, was sie seit f;nf oder sechs oder sogar schon acht Jahren nicht mehr getan hatte. Man sagt, dass vor dem Tod das ganze Leben vor einem vorbeizieht, und so zog auch Annas Leben mit ihrem Mann vor ihren Augen vorbei.
Sie lernten sich banal kennen - ;ber das Internet. W;re einer von ihnen ein ehrlicher Mensch gewesen, h;tten sie keine Chance gehabt, einander zu treffen. Aber so gab Anna an drei Jahre junger zu sein, ihr zuk;nftiger Ehemann machte sich drei Zentimeter h;her, als er war. Auf diese heuchlerische Art und Weise konnten sie sich, wenn auch m;hsam, in die Suchkriterien des jeweils anderen hineinzw;ngen und einander finden. Anna erinnerte sich nicht mehr, wer wem zuerst geschrieben hatte, aber sie wusste noch ganz genau, dass die Briefe ihres zuk;nftigen Mannes ohne jegliche Aufdringlichkeit und mit einer leichten Selbstironie gespickt waren, und das hat ihr sehr imponiert. Mit ihren dreiunddrei;ig Jahren und einem mittelm;;igen Aussehen sch;tze sie ihre Chancen auf dem Heiratsmarkt ganz n;chtern ein. Es war ihr absolut bewusst, dass sie, wenn auch nicht in der letzten, so doch mit Sicherheit in einer der vorletzten Reihen einzuordnen war. So hat sie sich f;r das erste Date fest vorgenommen, auf keinen Fall zu viel zu reden. Alles, was der Mann sagt, nicht auf die Goldwaage zu legen, versuchen, positiv und offen zu sein. Unbedingt sexy Unterw;sche anzuziehen und f;r alle F;lle in die Handtasche ein paar selbstgebackenen Kekse und einen Band von Shakespeares Sonetten einzupacken.
Das erste Treffen verlief ;berraschend unkompliziert – man darf die Macht des richtigen Images beim ersten Treffen niemals untersch;tzen! Ihre Romanze entwickelte sich schnell und st;rmisch. Sie hatten viel Spa; miteinander und nach sechs Monaten regelm;;igen Treffs und st;ndigem Druck ihrer Eltern, die die Hoffnung ihre Enkelkinder noch in diesem Leben zu sehen, schon verloren hatten, hatte ihr zuk;nftiger Ehemann den Mut zusammengenommen und Anna einen Antrag gemacht.
Eigentlich hat Anna immer das Gef;hl gehabt, dass sie sehr gut leben. Das Klima in der Familie war tropisch mit leichten Temperaturschwankungen. Es gab zwischen ihnen keine hei;e afrikanische Leidenschaft, aber die Beziehung war sehr liebevoll, freundlich und respektvoll - was will man denn mehr?
Der Ehemann, ein typischer Vertreter der M;nnerwelt und daher einfacher und geradliniger, legte sein Image eines „einf;hlsamen und z;rtlich-romantischen Machos mit goldenen H;nden“ schon einige Wochen nach der Hochzeit ab und gab sich vor Anna so, wie er war - ein einfacher, flei;iger und f;rsorglicher Mann.
Anna, als Vertreterin einer komplizierteren Frauenwelt, lockerte das enge Korsett ihres Images einer „taubstummen, intellektuellen, perfekter Hausfrau und sexy Geliebten“ langsam und kaum wahrnehmbar. Die baldige Schwangerschaft beschleunigte aber diesen Prozess und so ein Jahr sp;ter trennte auch sie sich, nicht ohne Vergn;gen, vollst;ndig von ihrem aus den N;hten platzenden Image und seufzte erleichtert auf.
Die Tatsache, dass trotz der Enth;llung ihrer wahren Gesichter niemand aus der Beziehung fl;chtete oder sich gar beschwerte, ;berzeugte Anna schlie;lich von der Richtigkeit ihrer einst getroffenen Entscheidung und st;rkte ihren Glauben an ihre Familie.
Nat;rlich brachten die beide nacheinander geborenen Kinder und die Alltagsroutine das Familienboot zeitweise stark ins Wanken, aber es gab keinen Schiffbruch, und wenn die St;rme sich legten, trieben sie auf den Wellen ihres Familienlebens in einer gemessenen und geordneten Weise weiter.
Die gl;cklichen Gro;eltern halfen ihnen, wo sie nur konnten. Im Beruf kletterten sie, wenn auch langsam, aber stetig, die Karriereleiter hinauf, dabei verga;en sie nicht zu reisen und sich ihren Hobbys zu widmen. Selbstverst;ndlich nahmen sie sich auch immer wieder gerne Zeit f;reinander.
Nun waren sie seit zw;lf Jahren verheiratet, und in all diesen Jahren war ihr Mann nie der Untreue ;berf;hrt oder auch nur beim Flirten mit einer anderen Frau gesehen worden, obwohl Anna ;berhaupt nicht eifers;chtig war und er sich so eine Freiheit locker leisten konnte, ohne dass es danach einen Streit gab.
Anna stellte sich vor, wie ihr Mann flirtete, und l;chelte unwillk;rlich, denn das Bild, das ihr in den Sinn kam, war sehr lustig. Es lag daran, dass ihr Mann zu Beginn ihrer Beziehung, nach mehreren erfolglosen Versuchen auf traditionelle Weise Komplimente zu machen, endg;ltig verstanden hat, dass es ;berhaupt nicht seine St;rke ist. Dann beschloss er, die Taktik zu ;ndern. Er machte seiner Frau die Komplimente ausschlie;lich lautlos, einfach, indem er seine Augen wie ein Koboldmaki aufriss.
Im Laufe ihres Zusammenlebens hat Anna gelernt, an der Gr;;e der Augen ihres Mannes die gesamte Bandbreite seiner Emotionen zu erkennen: von aufrichtiger Bewunderung, erfreulicher Zustimmung, unwillk;rlicher ;berraschung, pl;tzlicher Verwirrung, schwerem Unverst;ndnis und v;lliger Entr;stung. Und nun stellte sie sich vor, wie ihr Mann seiner neuen Flamme Komplimente machte und dabei seine Augen immer gr;;er und gr;;er wurden… Bei der Vorstellung wie sich ihr Mann in einen Koboldmaki verwandelt, wurde Annas Kehle trocken, sie l;chelte nerv;s und presste aus sich raus: „Und wie hei;t die Ratte, in die du dich verliebt hast?“
Die Augen ihres Mannes wurden nun tats;chlich so gro; wie bei einem Koboldmaki, er tastete seinen Oberk;rper hektisch ab und stammelte: „Wie? Wie ..., wie ..., wie um alles in der Welt kommst Du darauf, dass ich mich in eine Ratte verliebt habe?! Anna, du bist eine Hexe! Wei;t du, als ich sie sah, konnte ich ihren klugen Augen und ihrer faszinierenden Ausstrahlung einfach nicht widerstehen! Schau doch, wie wundersch;n sie aussieht und wie sehr sie dir ;hnelt!“ Er holte aus dem Halsausschnitt seines T-Shirts eine kleine graue Ratte mit rosafarbenen N;schen und ;hrchen und schwarzen Kulleraugen hervor. Anna h;rte nichts mehr. Sie bewunderte ihren Mann, seine neue Freundin, ihre gegenseitigen Liebkosungen und war unendlich gl;cklich, dass ihr Mann sich genau in diese Ratte verliebt hatte, die ihr so sehr ;hnlich war…