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Dr. Torsten Vo;: Die Rettung der Natur durch die Strategien der Mortifikation. ;ber
gefrorene Blumen, K;nig Midas und Vasilij Cesenov. Einf;hrende Bemerkungen zur
Ausstellungserf;ffnung von Vasilij Cesenov „Eiskalt erwischt“, in der GALERIE
GRUPPE 10 am 07. Februar 2009


   In seiner aphoristischen Prosasammlung Abgefallene Bl;tter1 kommt der Religionsphilosoph
und Schriftsteller Wassili Rosanow zu dem Schlu;, da; in die Kunst und Literatur
eingeflossenes Leben, also literarisiertes Leben, erkaltet und abgestorben ist. Der Akt der
Verk;nstlichung oder der ;sthetisierung wird als ein Sterbeproze;, als ein Vorgang der
Denaturalisierung prognostiziert: Nicht die Literatur, sondern das Literarisierte ist
schrecklich; das Literarisierte der Seele, das Literarisierte des Lebens. Das jedes Erlebnis
umgegossen wird in spielendes, lebendiges Wort: aber damit ist auch alles vorbei – das
Erlebnis selbst tot, nicht mehr existent. Das Wort hat die Temperatur (des Menschen, des
Leibes) abk;hlen lassen. Das Wort regt nicht an, o nein!, es k;hlt ab und bremst.2 Angelehnt
an das Bibelwort vom t;tenden Buchstaben benennt Rosanow explizit ein zentrales Verfahren
der hier und heute zu verhandelnden Erklatung. Literatur, oder besser gesagt Kunst,
transformiert Gef;hle und Erlebnisse in Schrift und Bild. Sie extrahiert sie aus dem Leben
heraus, unterzieht sie einer Metamorphose und bel;;t sie im toten Zustand der Buchstaben.
Durch die Verschriftlichung oder Verbildlichung wird das Urspr;ngliche in einen anderen
Zustand verwandelt, dem Leben und der Authentizit;t entzogen und in neue Formen
gegossen, die nichts mit der Welt zu tun haben. Sind menschliche Regungen und Gef;hle
etwas authentisches, das Dasein konstituierendes, werden sie durch die ;berf;hrung in die
Schrift oder in Bilder verk;nstlicht.3 Ein paar Seiten vorher findet sich auch ein Zitat, da; sich
durchaus als Motto f;r Rosanows Literaturbegriff instrumentalisieren l;;t4: Das ist der
arktische Pol. Eine Decke aus Schnee. Und – nichts. Solcherart ist der Tod.5 Und wohl auch







1 Wassili Rosanow: Abgefallene Bl;tter. Prosa. Von Eveline Passet aus dem Russischen ;bersetzt, kommentiert
und mit einem Nachwort versehen, Frankfurt am Main 1996.
2 Ebd., S. 14.
3 Der Melancholiker Rosanow ist dabei nicht so sehr an Ph;nomenen der ;sthetisierung mit Blick auf eine
Kunsttheorie interessiert. Seine Klage gilt dem Verfall und derm permanenten Verschwinden der Existenz an
sich, die er im Literarisierungsproze; allegorisch vergegenw;rtigt sieht. Die Tropologisierung der Erlebnisse,
Erfahrungen oder der Leidenschaften, markiert f;r ihn das Absterben an sich. K;lte ist damit f;r ihn negativ
behaftet, symbolisiert einen unausweichlichen, immer vorhandenen Zustand f;r ihn, dem es dennoch zu
entfliehen gilt. An einer anderen Stelle fordert Rosanow dementsprechend: „Mehr Liebe; mehr Liebe, gebt
Liebe. Ich sterbe vor K;lte. Oh, wie ist es ;berall kalt.“ Rosanow: a.a.O., S. 102.
4 Vielleicht ist es auch als Charakterisierung des hier zu demonstrierenden Kunstverst;ndnisses zu verwenden.
5 Rosanow: a.a.O., S. 8.

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die Kunst. Analogien von Vereisung, Tod und Kunst finden sich zum Beispiel bei Baudelaire,
Coleridge, Gide, Leconte de Lisle, Mallarm;, Poe, Georg Heym oder Christoph Ransmayer.
Das hei;t, um eine Betonung bestimmter Eigenschaften von Natur, Mensch etc. zu
erm;glichen, mu; das Kunstwerk vor seinen Lesern und deren vereinnahmenden
Bed;rfnissen gesch;tzt werden. Diesem Kunstkonzept hat unter anderem Paul Val;ry in
seinen aphoristisch-theoretischen ;u;erungen den Begriff des soliden Kunstwerks
gegen;bergestellt, welcher dem willk;rlichen Zugriff des Lesers und der Umwelt widersteht6
und so etwas wie Konstanz und Best;ndigkeit gegen;ber dem zeitlichen Wandel, dem Verfall,
behaupten kann. Die formale Erstarrung der Natur durch die Kunst erm;glicht die Bannung
der Sch;nheit. Sie wird von der Zeit abgeschnitten, tiefgefroren, medialisiert. In den
Vereisungsprozessen und den Photographien in der Kunst Vasilij Cesenovs wird dadurch die
K;nstlichkeit der Natur, ihre formale Perfektion erst deutlich. Was der herk;mmlichen
fl;chtigen Wahrnehmung an Sch;nheit und Farbenpracht aufgrund der K;rze ihres
Aufblitzens in der permanenten Ver;nderung des Lebens, entzogen ist, wird von Cesenov
erfasst und durch Vereisung und Medialisierung gebannt. Die scheinbare Naturfeindschaft, die
eiskalte Mortifikation der ;sthetischen Verfahren Cesenovs bewirken eine Rettung der Natur,
indem sie das zum Ausdruck bringen, was im lebendigen und damit permanent sich
ver;ndernden Zustand dem Betrachter entzogen wird. Kunst t;tet, da hat Rosanov durchaus
Recht und auch der K;nig Midas erkennt im antiken Mythos, dass die durch seine Ber;hrung
vergoldeten Fr;chte und Brote nicht mehr verzehrt werden und dadurch zum Erhalt des
Lebens beitragen k;nnen, aber zugleich bewirkt die Verk;nstlichung durch den Modus des
Festhaltens im Eisblock und auf der Photographie eine Reanimation der Natur. Eine Art
Nekromantik, ja sogenannte „Blumenzombies“ und „Eismumien“ bewirken die R;ckkehr der
Natur im Medium, einer Natur, die eigentlich schon l;ngst verfallen und verwest, ja:
verschwunden w;re. Hat dies einen Nutzen, einen sittlich-ethsichen N;hrwert? Ich denke
nein, und das ist zu begr;;en, denn der franz;sische Lyriker Th;ophile Gautier hat zum
Beispiel den N;tzlichkeitsverfechtern der Kunst, die sich ihm in Gestalt der saintsimonistischen
Sozialutopisten entgegenstellten, auf die Frage nach dem Zweck des Reims
geantwortet: Der erste Vers reimt sich mit dem zweiten, wenn der Reim nicht schlecht ist, und

6 In seinen Rhumbs definiert Val;ry ein Kunstwerk als solide, „wenn es den Substitutionen widersteht, die der
Geist eines aktiven und rebellischen Lesers stets seinen Teilen aufzuzwingen versucht.“ Vgl. Paul Val;ry: „Zur
Theorie der Dichtkunst und vermischte Gedanken“, in: ders.: Werke. Frankfurter Ausgabe in sieben B;nden, hg.
von J;rgen Schmidt-Radefeldt, Frankfurt am Main 1991, Bd. 5, S. 227.


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so immer weiter. Welchen Nutzen es hat? – Den, sch;n zu sein.7 Die Fokussierung Gautiers
auf produktions;sthetische und stiltechnische Fragestellungen offenbart sich auch in einem
Vorwurf gegen;ber Hippolyte Taine: Sie scheinen der b;rgerlichen Idiotie zu verfallen,
Gef;hl von der Poesie zu verlangen! Darauf kommt es ;berhaupt nicht an. Gl;nzende Worte,
Lichtworte, voll Rhythmus und Musik, das ist Poesie.8 Und der Berliner Germanist Horst
Wenzel schreibt: Fehlt der Kommunikation die W;rme der Lebendigkeit, friert die Stimme ein
wie das lebendige Wasser unter dem Zugriff des Frostes.9 Das scheint auch f;r Cesenov
notwendig zu sein. W;rme und das Erbl;hen der Pflanzen sind von kurzer Dauer. Sie
verfliegen wie die Stimme im Raum und verlieren sich auch in der Erinnerung ihrer
Betrachter. Sie werden vergessen. Sie sind nicht zu bannen. Das vermag nur die Kryologie,
wobei ich mit dieser Vereisungstechnik beide Arbeitsschritte von Cesenov bezeichnen
m;chte: Das Einfrieren der Natur, der Bl;ten und damit der Sch;nheit, aber auch ihr
Festhalten auf dem Foto. Mir geht es keinesfalls um die Analyse der kalten Kunst als
‚Kompensationsstrategie’ f;r den Verlust an Substanz und Wertekonsistenz in der modernen
und postmodernen Gesellschaft. Diese Fragestellung ist bereits von einem Gro;teil der
Forschung, vor allem durch die Arbeiten von Helmut Lethen, Manfred Geyer und Ulf
Poschardt, zum Thema „Inszenierung von K;lte“ beantwortet worden. Wesentlich
interessanter erscheint mir in den Arbeiten Cesenovs das dialektische Verh;ltnis von
K;nstlichkeit, Naturfeindschaft, Naturrettung und Sch;nheit. Auch darauf gibt die Literatur
mitunter Antworten:
Die erste Pflicht im Leben besteht darin, so k;nstlich wie m;glich zu sein. Worin die zweite
Pflicht besteht, hat noch niemand herausgefunden.10 Mit dieser Aussage verurteilt Oscar
Wilde das Leben zum Tode. Wenn es nur noch in der dauernden Inszenierung Bestand haben


7 Th;ophile Gautier: „Pr;face des Po;sies“, 1831 / 1833, in: Franz;sische Poetiken Teil II: Texte zur
Dichtungstheorie von Victor Hugo bis Paul Val;ry, hg. von Frank-Rutger Hausmann, Elisabeth Gr;fin
Mandelsloh und Hans Staub, Stuttgart 1978, S. 78-79, S. 78. Vgl. als relativ neue, zum Teil das erste Mal ins
Deutsche ;bersetzte Traktate enthaltene Textsammlung: L’art pour l’art. Der Beginn der modernen Kunstdebatte
in franz;sischen Quellen der Jahre 1818 bis 1847, herausgegeben, ;bersetzt und kommentiert von Roman
Luckscheiter, Bielefeld 2003.
8 Zit. nach Arnold Hauser: Sozialgeschichte der Kunst und Literatur, M;nchen 1990, S. 717.
9 Horst Wenzel: „Die ‚flie;ende‘ Rede und der ‚gefrorene‘ Text. Metaphern der Medialit;t“, in: Gerhard
Neumann (Hg.): Poststrukturalismus. Herausforderung an die Literaturwissenschaft (DFG-Symposion 1995),
Stuttgart / Weimar 1995, S. 481-503, S. 499. Wenzels ;berlegungen sind nat;rlich stark an Derrida angelehnt.
Auch dessen Theorie betont die Differenz der Schrift gegen;ber der immer auf direkte Kommunikation und
Verstehen angelegten Sprache. Vgl. Jacques Derrida: Wie nicht sprechen. Verneinungen, hg. von Peter
Engelmann, Wien 1989.
10 Oscar Wilde: „S;tze und Lehren zum Gebrauch f;r die Jugend“, in: ders.: S;mtliche Werke in zehn B;nden,
hg. von Norbert Kohl, Frankfurt am Main 1982, Bd. 7, S. 253-255, S. 253.


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soll, kann und darf es nicht mehr authentisch oder nat;rlich sein. Die ;sthetisierung des
Lebens unterwirft selbiges einer permanenten Reflexion ;ber m;gliche Stilisierung und
unterdr;ckt Wandel und Ver;nderung. Noch deutlicher zeigt sich das in Wildes ;u;erungen
gegen;ber der Bedeutung der Natur: Eine wirklich gelungene Knopflochblume ist das einzige
Bindeglied zwischen Kunst und Natur.11 Dieser Aphorismus nimmt der Natur ihren Eigenwert
und instrumentalisiert sie zum Stilmittel einer ;sthetischen Erscheinung. Die Aussage ist
sogar noch radikaler: Natur wird nur geduldet, wenn sie ihrem eigentlichen Kontext entzogen
und damit k;nstlich geworden ist und einer Entfaltung von Sch;nheit dient. Die
Formalisierung der Blume bewirkt deren Denaturierung. Mit dieser Naturerfrierung und
gleichzeitiger Rettung durch den K;nstler wird auch die formale Perfektion ber;hrt. Der
produktions;sthetische Kult der Form speist sich aus genauen ;berlegungen des K;nstlers
und mu; daher von subjektiven Stimmungen und Gef;hlen frei gehalten werden, da deren
Spontaneit;t in die durch Abstraktion hervorgebrachte formal-stilistische Qualit;t des
Kunstwerks eingreifen k;nnte. ;hnlich sieht es auch mit dem Kriterium der K;nstlichkeit
aus. Auch sie resultiert aus dem Talent der K;nstler und ihrem Willen zur Form, dem die
schon vorhandene Natur nicht unterworfen ist. Die Vorstellung von der Kunst als reine Anti-
Natur12 wird dadurch in die Wege geleitet, die bereits in der Literatur der ;sthetizistischen
Str;mungen ihre breitgef;cherte Anwendung findet. Huysmans aristokratischer Dandy Des
Esseintes aus dem Roman A Rebours/Gegen den Strich, l;;t den braunen und damit
erdfarbenen Panzer seiner Riesenschildkr;te mit Edelsteinen und Gold ;berziehen13, um sie
der Natur zu entrei;en und jede Erinnerung an sie aus seinem Kunstreich zu tilgen. Er l;;t
sich hier ebenso nennen wie Mallarm;s H;rodiade, die einen Ekel vor jeder leiblichen
Ber;hrung empfindet, da sie dieser aus der Sph;re der K;nstlichkeit herabst;rzen kann. Auch
Paul Val;rys ‚po;tique‘ bestreitet den Werdeproze; einer Natur, die sich in der
Selbstreproduktion ewig wiederholen mu;, und schon gar, wenn ihre Gestalten aus dem
blinden Gesetz von Mutation und Selektion hervorgehen sollen, gerade den poetischen
Charakter14, da er keinem Formwillen unterworfen ist. Stattdessen setzt Val;ry auf eine

11 Ebd.
12 Ebd., S. 377.
13 Der darauffolgende Tod des Tiers verst;rkt auf eindringliche Weise noch die These von der Unvereinbarkeit
von Kunst und Natur und demonstriert nicht das Scheitern des ;sthetizismus, wie es ein Gro;teil der Forschung
postuliert.
14 Hans Robert Jau;: „Urspr;nge der Naturfeindschaft in der ;sthetik der Moderne“, in: Karl Maurer/Winfried
Wehle (Hgg.): Romantik. Aufbruch zur Moderne, M;nchen 1991, S. 357-382, S. 379.

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Kunst, die ihre eigene Welt, ihren eigenen Spielraum erzeugt. Auch bei Cesenov geht es nicht
einfach um Reproduktion und Wiederholung, sondern um das (wenn auch nur medial erzeugte
und damit simulierte) Erm;glichen von Sein und Anwesenheit, um damit sowohl dem Verfall
als auch der Konsumierung der Natur entgegenzuwirken.
So sind die Blumen Vasilij Cesenovs von der Natur sowohl ;rtlich, temperaturbedingt und
zeitlich als auch visuell getrennt und gehorchen der eigenen Inszenierung des K;nstlers, denn
der Natur-K;rper ist laut Ulf Poschardt so hei;, so ‚steamy’, wie es im Amerikanischen hei;t,
da; nur der Akt der medialen Distanzierung und Erkaltung diese Hitze der K;rper und
Gef;hle neutralisieren kann. Erst dann sind sie f;r den K;nstler ausstellbar.15 In seiner
nat;rlichen Beschaffenheit ist er nicht dem Formwillen des K;nstlers unterworfen und
wuchert sozusagen konzeptlos vor sich hin, was ja auch die Naturverachtung einiger
romantischer Kunstemphatiker des 19. Jahrhunderts erkl;rt.
Die Radikalit;t dieser ;sthetik und auch der Atrbeit Cesenovs liegt in der Umbesetzung, die
die Natur erf;hrt. Er ist nicht mehr Leib, sondern in ein Medium transzendiert. So behauptet
Ulf Poschardt, da; lebendes Fleisch nur einen zielgerichteten, k;rperwarmen Sinn kennt, erst
die Stilisierung garantiert eine K;hle, die den Sinnstrukturen Freiheit verschafft.16 Der
K;rper der Kunst ;bertrifft den Naturk;rper an Sch;nheit und Raffinesse und erm;glicht
zugleich der Natur die Hervorhebung und Demonstration ihrer Sch;nheit durch die Statik
ihrer Erscheinung im eise und auf dem Photo. Darunter ist durchaus eine Rettung in Form der
Perfektionierung des Natursch;nen durch die Kunst zu verstehen, wie es unter anderem Kant
verlangt- Sein Rettungskonzept sagt quasi aus: Die Kunst hat das zu perfektionieren, was die
Natur nicht vermag.
So bricht der Bergmann Elis in E.T.A. Hoffmanns Erz;hlung Die Bergwerke zu Falun in eine
k;nstliche Unterwelt ein, die sich durch eine Ansammlung erlesenster Materialien
auszeichnet. Der Text beschreibt, da; er auf dem Kristallboden stand und ;ber sich ein
Gew;lbe von schwarz schimmernden Gestein erblickte.17 Schon bald erkennt Elis, da; er in
eine Art Antinatur eingedrungen ist. Statt der nat;rlichen Elemente, also Himmel und Wasser,

hat er es hier mit steinernen und mineralischen Bestandteilen zu tun, welche die K;nstlichkeit
des Unterreichs illustrieren: Gestein war das n;mlich, was er erst f;r den Wolkenhimmel
15 Ulf Poschardt: Cool, Hamburg 2000, S. 160.
16 Ebd.
17 E.T.A. Hoffmann: „Die Bergwerke zu Falun“, in: ders.: Poetische Werke in zw;lf B;nden, hg. von Klaus
Kanzog, Berlin/New York 1957, Bd. 5, S. 197-230, S. 206.



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gehalten.18 Auch die Vegetation wurde komplett durch Hoffmann ersetzt: Aber in dem
Augenblicke regte sich alles um ihn her, und wie kr;uselnde Wogen erhoben sich aus dem
Boden wunderbare Blumen und Pflanzen von blinkendem Metall, die ihre Bl;ten und Bl;tter
aus der tiefsten Tiefe emporrankten und auf anmutige Weise ineinander verschlangen.19 Die
scheinbare Lebendigkeit der Kunstpflanzen ist nur eine Simulation. Sie garantieren auch nicht
das Funktionieren des Naturkreislaufes, stehen also nicht f;r das Leben, sondern gehorchen
einer dekorativen Bestimmung. Die Art, in der sie sich miteinander verbinden und ein
komplexes Formenspiel arrangieren, erinnert eher an die ;sthetische Figur der Arabeske,
welche die Verfa;theit des romantischen Kunstwerks repr;sentieren soll. Au;erdem verr;t die
metallische Konsistenz der Pflanzen, da; sie nicht mehr Produkte der Natur sondern des
autonomen k;nstlerischen Formwillens sind. Sie bringt die Pflanzen unabh;ngig von der
Natur hervor und der k;nstlerische Formwille sorgt daf;r, da; die wunderbaren Metallbl;ten
freudiger empor schossen.20 Im Unterreich wird also penibel darauf geachtet, der Form die
h;chste Entfaltungsm;glichkeit zu geben. Die sie konstituierenden exklusiven Materialien
best;tigen das. Die B;ume aus Metall, die Kunstblumen und die durch Kryologie und
Photographie eingesperrten Eisblumen bei Cesenov bilden eine Gegenwelt, an welche die
Natur nicht mehr heranreicht. Da; das Unterreich nichts mit ihr gemein hat, wird erneut durch
die k;nstlichen B;ume versinnbildlicht, die wertvolle Edelsteine, anstatt zum Verzehr, also
der Erhaltung des Lebens, dienende Fr;chte enthalten.21 Hoffmanns Gew;chse und Cesenovs
Blumen unterliegen keinem beschr;nkten Haltbarkeitsdatum. So wie der mythische K;nig

18 Ebd.
19 Ebd.
20 Ebd.
21 In Marx Kritik der politischen ;konomie erfahren die wertvollen Stoffe und Metalle, allen voran das Gold,

eine starke Ablehnung, da sie nicht in den Produktionsproze; integrierbar sind, also jeder gesellschaftlich
relevanten N;tzlichkeit widersprechen: „Abgesehen von ihrer Seltenheit macht die gro;e Weichheit des Goldes
und des Silbers, verglichen mit Eisen und selbst mit Kupfer (in dem geh;rteten Zustand, worin die Alten es
brauchten), sie unf;hig zu dieser Nutzanwendung und beraubt sie daher in gro;em Umfang der Eigenschaft,
worauf der Gebrauchswert der Metalle ;berhaupt beruht. So nutzlos, wie sie innerhalb des unmittelbaren
Produktionsprozesses sind, so entbehrlich erscheinen sie als Lebensmittel, als Gegenst;nde der Konsumtion.“
Zit. nach Karl Marx / Friedrich Engels / Wladimir Iljitsch Lenin: ;ber Kultur, ;sthetik, Literatur. Ausgew;hlte
Texte, Leipzig 1987, S. 371. Aufgrund ihrer Nutzlosigkeit und ;berfl;ssigkeit, da sie nicht der Befriedigung
elementarer Bed;rfnisse dienen, sieht Marx in ihnen auch die Repr;sentanten der herrschenden Klassen, „des
;berflusse[s] und darum des Reichtums als solchen, sowohl ihrer nat;rlichen ;sthetischen Eigenschaften wegen,
als der Teuerkeit wegen.“ Die edlen Metalle gehen „;ber den Kreis der unmittelbaren Bed;rftigkeit“ hinaus. Sie
bilden „das Sonnt;gliche im Gegensatz zum Allt;glichen.“ Marx: a.a.O., S. 373. Obgleich sich Marx
Auslassungen ;ber exklusive Materialien einer Wirtschafts- und Gesellschaftstheorie verpflichtet wissen,
verhalten sich die von ihm attestierten Attribute des Goldes und des Silbers analog zu ihrer poetologischen
Instrumentalisierung in der Romantik und im sp;teren ;sthetizismus. Sowohl ihre mangelnde Eignung f;r
Werkt;tigkeit als auch die Verweigerung von Konsumierbarkeit, markieren ihren autonomen Charakter.

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Midas durch seine Ber;hrungen Speisen vergolden kann und damit letztendlich vor dem
Gefressen-Werden bewahrt, sie dem Zweck entzieht und sie dadurch veredelt, so rettet
Cesenov die Sch;nheit der Gew;chse vor der Natur und schlussendlich diese selbst, auf eine
Weise, die nicht ihr, sondern nur dem K;nstler gegeben ist. Cesenovs Bilder haben die
Gew;chse eiskalt erwischt und damit am Leben erhalten. Lebende Tote – ein Paradoxon, das
jedoch in seiner Widerspr;chlichkeit auch die besonderen Sprechweisen der Kunst bezeichnet
und am heutigen Abend vorf;hrt..