Weihnachten

Екатерина Петерс 2
Weihnachten … Wenn ich dieses Wort hoere,  umschliesst etwas weiches, seidiges mein Herz, schunkelt  es sanft hin und hier, und ich komme mir vor, als waere ich noch ein Kleinkind  in der Wiege.
Ich denke gern an  Weihnachten aus meiner Kindheit zurueck, es war so anders damals. Unsere Eltern waren  altbacken und genuegsam, wir hatten es schlicht bei uns zu Hause. Und wir hielten alle Christlichen Feiertage so, wie  es seither  ueblich war, besonders  die Weihnachten.
Schon einige Tage davor wird alles geschrubbt und gesaeubert, der Ofen  frisch getuencht, die Gardinen gewaschen. Und, natuerlich  gebacken, was das Zeug haelt.  Die Portionen sind so gross, dass es weit ueber die Feiertage hinaus ausreicht. Es gibt glasierte Backwerke, die aus  sue;em Teig gestochen werden. Die Ausstechformen sind aus Blechstreifen selbst gefertigt: wunderschoene Pferdchen, Puppen, Sterne und Halbmonde.   Unzaehlige Piroggen  mit Hack-  und Kartoffelfuellung, auch mit Kuerbispueree.  Lange Bleche voll Riebelkuchen (Streuselkuchen) und, natuerlich die unerlaesslichen  Zwiebaecke: nach Art der plattdeutschen Hausfrauen, aus lockerem Hefeteig, uebereinander gesetzte „ zweistoeckigen“  Weizenbroetchen. Alles wird in der Sommerkueche im speziellen Backofen gebacken  und auf frischem Stroh ausgekuehlt.  In riesigen emaillierten Schuesseln, bedeckt mit sauberen Tuechern, steht alles dann auf der Veranda und wartet auf ihre Stunde. Das ist der perfekte Aufbewahrungsplatz, die sibirischen Froeste halten wochenlang alles frisch. Manchmal tauchen  kleine Haende unter das Tuch und machen sich mit der Beute  davon. Laechelnd schaut die Mutter aus dem Fenster …
Bei uns zuhause findet dieses Jahr der weihnachtliche Gottesdienst statt.  Dafuer muessen Vorbereitungen getroffen werden.
Einen Tag vorher wird ein au;ergewoehnlich gro;er Tannenbaum  in der Wohnkueche aufgestellt. In unserem kleinen Haus ist es das groesste Zimmer, deswegen passt der Baum perfekt  in die Ecke am Fenster. Wie der riecht! Nach frischem Schnee, nach  Wald, nach all dem geheimnisvollen und zauberhaften was wir, Kinder, so lieben!
Ueber Nacht  muss der Baum erstmal stehen bleiben,  damit er abtauen  und seine Zweige entfalten kann. Am naechsten Morgen steht er breit da, fuellt das Haus mit seiner Wuerze und ist zum Schmuecken bereit.  Langersehnte und ehrenvolle Obliegenheit! Ein gro;er Karton  wird aus der Abstellkammer geholt und mitten im Zimmer platziert. Erst wickeln Vater und Mutter  die Lichterketten  um den Baum, verteilen die Laempchen gleichmaessig auf den gruenen Tatzen. Dann wird kurz das Licht ausgemacht und die Baumlichter an … Als ob  abertausende  von bunten Feuern aufleuchten, die von unseren Herzen direkt aufgenommen werden. Und aus den Augen wieder  herausstrahlen! 
Jetzt duerfen die Kinder endlich anfangen den riesigen Baum mit Schmuck zu behaengen. Was gibt es nur fuer Schaetze im Karton! Eigentlich kennen wir  noch alles vom Vorjahr,  aber entdecken immer wieder etwas Neues, Zauberhaftes dazwischen. Wir haengen den Baum so voll, dass das Gruen kaum noch zum Vorschein kommt. Zum Schluss kommen selbstgebastelten Girlanden und Schneeflocken darauf, die wir schon vorher in den langen Abenden aus farbigem Papier  schnippelten und klebten.  Nun steht er bunt geschmueckt im Raum und flimmert uns still und geheimnisvoll entgegen.
Diese Momente  habe ich immer noch im Herzen, wie ein kleines Fenster  in meine Kindheit: die Ruhe im Haus  am fruehen Morgen am Heiligen Abend, wenn alle weg sind. Die aeltesten Geschwister in der Schule, Vater auf der Arbeit und Mutter vielleicht  im Stall etwas zu verrichten hat. Und ich ganz allein im Zimmer. Der Wassertopf singt auf dem Herd, wei;es Licht glei;t von Draussen durch die  vereisten Fenster  und der wunderschoene Weihnachtsbaum funkelt mich an, als ob er mir etwas sehr Schoenes anvertrauen moechte. 

Nachmittags sind alle da.  Fuer die Jungs liegen Hosenanzuege bereit, frisch gebuegelt,  und die Maedchen ziehen ihre schoensten Kleider an und flechten   ordentlich ihre Zoepfe.  Die auswendig gelernten Gedichte werden noch mal geprobt.  Ich freue mich, weil ich  mehrere eingeuebt habe, nicht nur auf Russisch, sondern auch auf Deutsch. Unsere Mutter hat ein dickes Paeckchen  selbstgemachter Fotokarten, mit  Gedichten und Versen aus der Bibel drauf. Zu Weihnachten und Ostern wird dann  etwas Passendes  ausgesucht und von den Kindern auswendig gelernt. Da es  nur wenig an Christlicher Literatur  in Russland gibt,  werden diese K;rtchen  von Hand angefertigt und vermehrt. Mit schoener Handschrift  geschrieben, oft mit Blumenornamenten am Rand verziehrt, dann Fotografiert, saeuberlich ausgeschnitten und an Gemeindemitglieder verteilt. Fast jede Familie besitzt  so ein Paeckchen.  Da die auf Deutsch sind, und ich es nicht selbst lesen kann, hat Mutter mit mir geuebt, wann immer sie Zeit dafuer fand. Aber  es macht mir Spass und ich lerne schnell.
Unser Vater traegt  zusammen mit den Jungs alle Kleinmoebel  aus der Wohnkueche auf die Veranda. Nur die schwere Anrichte und die Schlafbank blieben stehen, das Zimmer sieht jetzt riesengross aus. Nun wird eine Unzahl an einfachen Sitzbaenken reingebracht und in zwei Reihen hintereinander aufgestellt. Sowie auch alle Stuehle und Hocker, die wir im Haus haben, damit so viele Menschen, wie  nur moeglich  hier sitzen koennen. Draussen wird es dunkel und die ersten Gaeste treffen ein. Sorgfaeltig fegen sie im Vorbau  den Schnee von ihren Filzstiefeln, trotzdem bleibt ein kleiner Rest Schnee ueber, taut  drinnen auf und glitzert in kleinen Tropfen auf dem schwarzen Filz. Selbst das sieht  so festlich aus!

Schnell fuellt sich das Zimmer und Einige muessen sogar im Nebenzimmer Platz nehmen. Die Letzten muessen  f;r den ganzen Gottesdienst  vor der Tuer stehen bleiben. 
Zur angegebenen Stunde wird die Versammlung mit einem Gebet eroeffnet.  Ein Prediger haelt das Wort. Er erzaehlt die Weihnachtsgeschichte so ruehrend, schaut dabei so bedeutsam in die Augen, als ob er sie jedem Einzelnen direkt ins Herz legen will.
Die Geschichte von der Geburt Jesus Christi habe ich schon oft gehoert, aber  immer wieder wie zum ersten Mal. Diese  alles ueberragende Freude, die Erwartung auf etwas Wunderbares, was gleich passieren soll,  laesst mich nicht los. Ich freue mich so sehr, als ob das Heilige Kind  direkt vor mir in seiner Krippe liegt. Als ob ich von Anfang  an dabei gewesen  und alles  miterlebt habe. Darum sage ich meine  Gedichte mit so viel Leidenschaft, so viel Gefuehl auf, dass sich manch einer die Traenen wischen muss. Auch die Lieder, die der Gemeindechor  einstimmt, singe ich mit Inbrunst mit! Das ist so schoen! Das schoenste, was ich jemals gesungen habe!
Sehr schade, dass der Gottesdienst so schnell vorueber ist. Selbst wenn es zum Schluss noch  eine gro;e Tuete Suessigkeiten f;r jedes Kind gibt. Darauf freuen sich alle  das ganze Jahr!
Als die Menschen gegangen sind,  werden  auch die Baenke rausgebracht und  unsere Moebel wieder rein.  Es wird  alles wieder gewoehnlich bei uns, und als ob dunkler …  Auf dem grossen Esstisch werden nun die Gabenteller  gestellt.  Voller Vorfreude gehen wir ins Bett, denn heute Nacht kommt der Weihnachtsmann …

Am Weihnachtsmorgen brauchen wir keinen Wecker und springen zeitig aus den Betten. Trotz dem bleibt  nicht viel Zeit zum Freuen und Geschenke bewundern - die Schule wartet.  Nur schwer trennen wir uns von den neuen Spielsachen und seltenen Leckereien. Der Unterricht dauert an diesem Tag unwahrscheinlich lange, auch wenn die Pausen  aufgeregt und freudig verlaufen. Als ich nach Hause komme, hat mein kleiner Bruder schon seine Suessigkeiten  sortiert und  wartet gespannt auf das Tauschgeschaeft mit mir. Das ist unser alljaehrliches Ritual, wir tauschen  unsere Bonbons untereinander  so lange, bis jeder  meint seinen Gewinn  dabei zu haben.  Dass erfordert  gewisse Schlauheit,  deswegen duerfen  aeltere Geschwister  mit uns nicht tauschen.
Zu Mittag gibt es  einen leckeren Braten,  der mit Anis gewuerzt ist, Kartoffelpueree und Rote Gruetze. Dazu zahlreiches Eingemachtes und Gebaeck.  Danach ist Freizeit angesagt –  heute wird nicht gearbeitet, denn es ist  schliesslich ein gro;er Feiertag.