Es gibt nichts Herrlicheres auf der Welt, als die ersten Sonnenstrahlen zu geniessen! Bereitwillig schiebe ich mein Gesicht der strahlenden Waerme entgegen. Blinzele hinauf, werde auf einmal froehlicher und gelassener. Ich nutze jede Minute, um sie draussen zu verbringen, erledige nach Feierabend nur das Noetigste um dann endlich Sonne zu tanken! Und wenn ich dann mitten auf unserem Hof auf meiner alten Sonnenliege weile und den blauen Himmel betrachte, gibt es auf der ganzen Welt keinen gluecklicheren und zufriedenen Menschen.
Ich starre hinauf in das unendliche Blau, bis mir schwindelig wird, bis ich glaube dort die Sterne zu sehen. Und denke mir meine Gedanken. ueber die Vergaenglichkeit der Zeit, ueber die Unendlichkeit des Alls … Irgendwann fallen mir die Augen zu, aber ich schlafe nicht. Noch intensiver spuere ich das alles durchdringende Sonnenlicht, den Wind, der in den zartgruenen Baumspitzen raschelt, aber hier unten nur sanft ueber meine Haut streicht…
Ein entferntes Tackern und kurz darauf ein kraeftiger Fluegelschlag unterbrechen meinen Schlummer. Ein riesiger dunkler Schatten (ein Ptherodaktil?) kreist ueber unserem Garten, verschwindet hinter der Hecke auf dem Nachbarsfeld. Ein Storch. Das Nest kann ich von uns aus beobachten, denn es sitzt hoch auf dem Schornstein der alten Brennerei. Und manchmal, wenn alles ruhig ist, spazieren die langbeinigen Nachbarn sogar in unserem Hof herum. Schauen neugierig, sprechen ihre Schnatter-Gespraeche und messen mit ihren langen Schritten unseren Garten ab. Seit Jahren kennen wir uns schon, obwohl…ob es immer die gleichen gewesen sind? Mir wird bewusst, wie wenig ich doch ueber die Stoerche weiss…
Neuerdings wurde ueber dem Stoerchennest eine Kamera installiert. Zwecks Naturwissenschaftlicher Nachforschungen? Einfache menschliche Neugier? Keine Ahnung. Rund um die Uhr wird alles aufgenommen, was dort oben passiert. Und auf dem Bildschirm im Supermarkt kann jeder das leben der Stoerche beobachten. Das „Stoerchen Big Brother“ also. Von Anfang an war das ein beliebtes Thema im Dorf. Erst wurden mit Spannung die gelegten Eier gezaehlt und durchdiskutiert, dann die geschluepften Stoerchenbabys. Dann, innerhalb von wenigen Tagen, warf die Stoerchenmutter drei von ihren sechs Kueken aus dem Nest… Manche Naturgesetze sind fuer uns, Menschen, unbegreiflich… Und dass alles vor der laufenden Kamera, vor den Augen aller Dorfbewohner. Kriegen die Stoerche ueberhaupt mit, dass sie beobachtet werden? Tag und Nacht bei allen ihren Taetigkeiten ? Mann kann sie aus naechster Naehe sehen, ihre langen Haelse, spitze Schnaebel, die klugen schwarzen Augen. Wie der Wind durch das dichte Gefieder streift, wie sie einander zaertlich beschnattern, wie sie, auf einem Bein stehend neugierig auf das hektische Dorfleben hinunterschauen…
Die fahrenden Autos, die muehsam geschobenen, voll gepackten Einkaufswagen, die spielenden Kinder im benachbarten Kindergarten, mich auf meiner Sonnenliege…
Wer beobachtet wen? Merkt man es ueberhaupt, wenn man beobachtet wird? Spuert man es irgend wie..? Es koennte ja vielleicht sein, das noch ein drittes Augenpaar aus irgend einer Ecke im Universum uns allesamt genau unter die Lupe nimmt, jeden Schritt verfolgt, jedes Wort und sogar die Gedanken mithoert, fuer welche Zwecke auch immer…
Von dieser Vorstellung bekomme ich Gaensehaut und richte mich abrupt auf.
Ich glaube, ich bin doch eingeschlafen! Der Schatten hat meine Liege erreicht, ich stehe auf und ruecke sie wieder in die Sonne. Ist das schoen..!