Der lange Weg in ungewissheit

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Elena Dumrauf- Schr;der

     DER  LANGE  WEG  IN  UNGEWISSHEIT
 Erinnerungen aus der Serie/Reihe: „Damals war Krieg“

In der Hoffnung, dass es der letzte Abschnitt der schrecklichen Reise sein wird, kam Anna mit ihren 5 Kindern zu den ebenso erschöpften Auswanderern, die sich neben dem Lastwagen versammelt haben, mit dem sie zum Bestimmungsort gebracht werden sollten. Vor 3 Tagen kamen sie mit dem Zug zu dieser ihnen nicht bekannten Station. Nachdem sie, wie Tiere, aus den für Viehtransport vorgesehenen Waggons, „ausgeladen“ wurden. Man konnte kaum feststellen ob die Menschen noch leben! Zusammengetrieben und vom bewaffneten Konvoi umringt sahen die Menschen ihrer ungewissen Zukunft entgegen. Dieser Weg aus diesem Ukraine –Zentrum, über Russland nach Kasachstan hat viele Menschenleben gefordert, Seelen verstümmelt, Familien auseinander gerissen.
  Drei Familien wurden auf einen Wagen geladen. Die niedrige Bordwand wurde verriegelt und erst am späten Nachmittag als die Sonne bereits unterzugehen begann, wurde die Fahrt in die  hunderte von Kilometern weite Steppe begonnen. Als Bewohner der gedeihenden und fruchtbaren Ukraine, haben die Menschen auf dem Wagen noch nie ein so großes und unbebautes Land gesehen. Diese Aussicht hat die Familie in Angst versetzt. Ohne ein einziges Wort zu sagen, blickten sie ängstlich um sich. Die Fahrt nahm und nahm kein Ende. Die trostlose Landschaft wirkte langweilig und die 13- jährige Elsa kam gedanklich wieder zu ihrem Hunger zurück. Ihr Blick glitt vom blassen Gesicht, der in Gedanken versunkende Mutter, zum zierlichen kleinen Bruder Karl, der sich an die Mutter drückte, dann zu den beiden älteren Schwestern Lisa und Berta. Die Beiden haben sich um ihre geschwächte, schwangere Schwester Lida gekümmert. Sie sollte in den nächsten Tagen ihr Kind bekommen.
Dabei dachte sich Elsa, nicht ich alleine habe Hunger. Den anderen geht es genauso. Aber was nutzt es, darüber zu sprechen, wir haben ja doch nichts. Man muss Geduld üben und warten.  – Der Gedanke, dass sie in ihrem Leid nicht allein ist, hat die Sache etwas erträglicher gemacht. Elsa merkte, wie die Sonne langsam hinter den hohen Bergen unterging,  als der Laster vom Weg bog. Weiter ging es durch das kahle Land, zu den weiten  Bergen, hinter denen die letzten Sonnenstrahlen einen hellen Ring um die Bergspitze legten. Dieser Lichtfleck stach ins Auge wie eine funkelnde Krone auf einer Schneekuppe.
Es ist wunderschön, dachte Elsa, ohne den Blick von diesem Naturschauspiel abzuwenden.  Es sieht bald so aus, als wenn Mama auf dem offenen Feuer in der großen Pfanne Kartoffeln brät. Sie zog kalte Luft durch die Nase und schluckte trocken.
Es war schon dunkel, aber der Lastwagen fuhr immer und immer weiter auf dem unsichtbaren Weg durch die Mulden und Buckel. Die Menschen litten sehr auf der Pritsche.  Die Ständige Ungewissheit wirkte bedrückend, das rütteln lies die armen Menschen nicht schlafen und im Kopf wimmelte es vor traurigen und schönen Erinnerungen. 
Annas Lippen haben sich im stillen Gebet kaum bewegt. Sie bat den Allmächtigen, ihren Ehemann Emmanuil, der sich in einem der  zahlreichen Gefängnissen befand, wissen zu lassen, dass sie und die Kinder noch am Leben sind. Dass das Schicksal sie, bis jetzt zum  nicht bekannten Fluss Ili geführt hat. An dessen Ufer sie drei Tage auf ihre die Bestimmung warten mussten. Aber da Lida hochschwanger war, durften wir unter den ersten reisen. Gedanklich erzählte sie ihrem Mann, wie sie einen ganzen Monat in geschlossenen Viehwaggons transportiert und wie Vieh behandelt wurden. Es ist kalt geworden – es war mittlerweile November. Fast 50 Personen kauerten, auf dem mit Stroh bestreuten Boden im Waggon. Im Sitzen aneinander gelehnt und gewärmt wurde geschlafen. Es mangelte an Trinkwasser und Brennholz für den Ofen. Die man nur auf den Stationen ergattern konnte. Nur wenige haben es geschafft, Wasser zu kochen. Manchmal haben die Aussiedler versucht, während den Zwischenstops ein kleines Feuer zu machen um etwas zu kochen. Aber es war viel zu wenig Zeit. Die schreckliche Pfeife ging und die Menschen mussten alles stehen und liegen lassen um zu ihrem Waggon  laufen, sonst wären ihre Familien getrennt worden.
Vor Annas innerem Auge erschien das gutmütige Gesicht ihres Mannes Emmanuil und sie dachte an jene Novembernacht im Jahr siebenunddreißig, als er und weitere 20 Männer aus dem Dorf weggefahren wurden. Er hatte traurige Augen. Sie atmete tief ein, aber ihr Gesichtsausdruck ist friedlich geblieben; sie dachte an ihren Emmanuil. Er war sich ganz sicher, dass er bald zurückkommen, würde, denn er war ja unschuldig. Deswegen beruhigte er Anna, sie soll sich um die Kinder und den gemeinsamen Haushalt kümmern. Damals, während der Hausdurchsuchung, wurden alle Kinderbücher und Zeichnungen von den Kindern beschlagnahmt, die Anna sorgfältig gehütet hatte. Besonders schade war es aber um die zahlreiche Liederbücher. Familie Meier war sehr gläubig. Alle haben gesungen, viele Lieder wurden an den Kirchlichen Festtagen gesungen. Nur ein Liederbuch ist erhalten geblieben, es war ein handschriftlich geschriebenes Buch, das im Kinderbett unter dem schlafenden kleinen Sohn versteckt lag. Es sollte zum Familienerbstück werden. Tage und Monate sind inzwischen vergangen, aber Emmanuil kam nicht zurück. Anna hat im Kolchos gearbeitet, die Hausarbeit erledigt und gewartet, und gewartet. Sie war fest davon überzeugt dass er bald wiederkommt. Sie hat ihm selbstgekochtes und saubere Wäsche ins Gefängnis  gebracht. Das Mitgebrachte hat man im Gefängnis zwar angenommen, aber Gefangenenbesuche  wurden untersagt. Auf die Frage „warum?“ folgte immer dieselbe Antwort: „Es sind Politische Gefangene, ohne Recht auf Schriftverkehr, ohne Besuchsrecht“.  Damit war der Schalter zu. 
Eines Tages ist Berta zusammen mit anderen Frauen ins 10 Kilometer entfernte Gefängnis gegangen und kam zurück mit einem Bündel, in denen Kleidungsstücke des Vaters eingewickelt waren. Anna faltete das am Rücken mit großen Blutflecken verschmiertes Hemd auseinander. Als daraus einige vertrocknete Hautlappen fielen erschrak Anna bei diesem  Anblick. Ihr war sofort  klar, dass ihr Mann brutal gefoltert worden war. Anna ist ohnmächtig zu Boden gefallen.
Annas Herz wurde krank. Als sie jetzt an den geliebten Mann dachte,  lief es ihr wie damals kalt den Rücken runter. Tränen stießen ihr in die Augen.
„Mama, Mama, warum haben die mein Pferdchen weggenommen“ hörte Anna  den kleinen Karl leise flüstern.“ Es ist doch mein Pferdchen, Papa hat es für mich gebastelt“, fuhr das Kind enttäuscht fort. Als es sich erinnerte, wie ein starker Bursche sein Schaukelpferdchen am Tag vor der Verbahnung auf der Schulter wegtrug.
„ Ich weiß nicht warum, Kind. Aber es gehört sich nicht. Man darf nicht fremde Sachen nehmen“. Anna wusste nicht dem Sohn die böse Taten deren Menschen zu erklären, die aus den benachbarten Dörfern kamen, um zu plündern. Als es bekannt wurde dass die Deutschen das Dorf verlassen müssen, wurden ihre  Häuser  noch während ihrer Anwesenheit ausgeraubt. Das Vieh wurde einfach weggeführt. Alles, wofür man viele Jahre schwer und hart gearbeitet hat.
„ Mama, wir hätten es in einen Sack stecken und mitnehmen müssen“, flüsterte Karl kläglich.
„Kind, wir hatten doch keinen Platz. Weißt du noch, dass wir sogar den Kochtopf und die Milchkanne zurücklassen mussten? Lida hat die Hängewiege für den Kleinen nicht mitnehmen können und auch Elsa, hat ihre Bücher und Hefte zurücklassen müssen“.
„Mama, wann essen wir,  ich habe Bauchschmerzen“, sagte Karl, legte dabei seine Hand auf den Bauch und krümmte sich nach vorn.
Anna knöpfte ihr Wams oben auf, holte ein großes kasachisches Fladenbrot heraus und brach es entzwei. Eine Hälfte gab sie dem Sohn, die andere Hälfte  steckte zurück.
„Ach, Mutti“ - rief Karl.
„Mama, wo hast das her“? –fragte die  große Tochter und blickte in die Dunkelheit. Sie wusste genau, dass ihre Mutter von ihren eigenen Sachen etwas gegen das Brot eingetauscht hatte. Denn für  Geld konnte man nichts mehr bekommen, Essen wurde nur gegen Sachen (Schuhe, Strümpfe und vieles mehr) getauscht.
„Lisa, ich habe es bei der alten Frau gekauft, die am Straßenrand stand“, sagte Anna. Sie mochte es den Kindern nicht sagen, dass sie ihre Strümpfe gegen das Brot getauscht hat. Schweigend nahm sie das große Brotstück das sie dem Karl gab und verteilte es unter allen Kindern auf.
Am frühen Morgen erblickte Anna eine Siedlung am Horizont. Das war eine Kasachische Siedlung (Aul) –die  aus Tonschlag gebauten Hütten und Zelte (Jurta) bestand.  Die Hütten waren niedrig, die Dächer mit Gras bewachsen. Die Einwohner der kleinen Siedlung waren nicht darauf vorbereitet, die vielen fremden Menschen zu beherbergen. Um die Deutschen irgendwie unterzubringen, mussten die Kasachen zusammenrücken. In einer Hütte, wurden neben dem Hausherren- drei Brüdern mit Frauen und zwei Kindern, zwölf Personen zugeteilt. Die unbekannten Gäste mussten in der Ecke auf dem mit dem Stroh ausgelegten Boden schlafen, die Hausherren schliefen auf dem Filz unter dicken Decken.
Am neunten Tag des Aufenthalts in der Siedlung bekam Lida einen Sohn, den Edik.  Hier wurde kein Kinder registriert, es hat niemanden interessiert, wie viel Bewohner es gab,  ob jemand geboren oder verstorben war!
 In der Mitte des Raumes stand ein kleiner Ofen mit einem Kessel darauf, dass täglich mit Astholz gefeuert wurde. Man kochte darauf im Winter sowie im Sommer. Im Winter feuerte man mit Saksaul, der viel mehr Wärme gab. Vom ständigen Rauch und Ruß  bildete sich im Zimmer unter der Decke eine graue Schleierwolke. Kinder wurden vom chronischen Husten gequellt, der nicht selten Übelkeit und Schwindelzustände zur Folge hatte.
Alle, bis auf Lida mit ihrem kleinem Edik und Karl, mussten im Kolchos „Bachpachty“ arbeiten. Dafür gab es einen Liter  fettarme Milch oder saure Milch pro Familienmitglied. Nach der Arbeit auf den Kolchosfeldern ging es zu den Dorfbewohnern, um dort Saksaul zum Feuern zu sammeln, Getreide zu mahlen oder die Ställe auszumisten. Für diese harte Arbeit gab es einmal die Woche eine Schüssel Getreideschrot oder Hirsemehl. Seit eineinhalb Jahren haben die Menschen (Verbannte) kein Brot mehr gegessen.
Eingeschüchterte und halbtodgequellte Aussiedler haben alle Strapazen der schweren Arbeit und ständigen Hunger ergeben ertragen. Aber mit dem Winteranfang kam noch ein unerträglicherer Schicksalsschlag. Die Kolchose musste eine staatliche Aufgabe erfüllen indem sie Rauchware von Bisamratten an der Erfassungsstelle, sogenannte "Sagotpuschnina" abgab.
Der Salzwassersee "Balchasch" hat an dem Teil, wo der Fluss "Ili" mündet süßes Wasser und da gibt es viele Bisamratten. Hier mussten die deutschen Einsiedler ihrer Arbeitspflicht nachgehen. Entlang des Ufers in parallelen Reihen waren im Eis Löcher geschlagen. An jedem Loch, die Tag und Nacht nicht einfrieren durften, standen, wie Soldaten am Posten, schwache kranke Frauen ("Schinder-Mörder" - wie sie sich selbst nannten). Die armen Tiere kamen aus dem Wasser um Luft einzuatmen, steckten den Kopf raus und da wartete schon ein Knüppel auf sie. Es erklang kläglicher wie von einem Kind seelenergreifender Schrei. Und ein nächstfolgendes Tierchen flog auf den Haufen. Von dem, noch nicht totem Wesen, wurde das schöne Fell abgezogen. Die vielen Felle wurden mit Salz und Sägemehl bestreut damit sie im Frost nicht zerbrachen und in die Kisten verpackt, die auf Schlitten standen. Eingepackte Felle wurden täglich zu "Sagotpuschnina" transportiert. Die ausgeweideten Tiere wurden in größere Kisten gepackt und weggebracht.
Die halbtodgefrorene Frauen durften nicht in die Schilfhütten um sich aufzuwärmen gehen. Es kam vor, dass der Knüppel für das kraftlose Opfer zu schwer wurde, und es fiel auf das Eis tot um. Aber öfter passierte es, dass die Postwachen in der Kälte einschliefen und wurden nicht mehr wach. Zum essen bekamen sie nur Bisamrattenfleischbrühe ungesalzen und ohne irgendeinem Zusatz, geschweige von Brot. Alle plagten Magenprobleme.
Lisa und Berta überlebten das Grauen dieser eiskalten Winters am Balchaschsee mit all den vielen Krankheiten. Sie wollten später nicht erzählen, sogar nicht sich erinnern an dieser schrecklichen Zeit.
Eines späten Abends kam Elsa ganz stolz zu ihrer Familie und brachte eine ganze Tonschüssel voll mit Roggenmehl. Dies war die Belohnung für ihre fleißige Arbeit in einer wohlhabenden kasachischen Familie, wo sie 2 einjährige Kinder betreute. Anna standen Tränen in den Augen, als sie die Schüssel hielt und am Mehl roch. Dann hat sie ihre kleine Tochter umarmt und gesagt: „Gott, es duftet nach Brot,  Kinder  wie lange ist es her  als wir Brot gegessen haben. Aber es gab kein Brot aus diesem Mehl. Mutter mischte dieses Mehl mit Schrott, mit gemahlenen Kräutern oder Wurzeln und backte auf dem blank geputzten Ofen etwas wie deutsche Pfannkuchen.
Wegen des Mangels an Salz und Vitamine sind viele erkrankt und verstorben. In der Siedlung wütete Skorbut, es wurde keiner verschont. Ob alt oder jung. Der Schmerz des Verlustes, fühlt sich  stumpf an, man fürchtete sich nicht mehr vor dem Tod. Der Tod wurde auch als Erlösung angesehen.
Unter den Aussiedlern munkelte man über die Flucht aus der Siedlung in die Kosakensiedlung "Urizkaja". Angeblich gibt es dort Arbeit, Essen, und Häuser zum Wohnen. Man hat es riskiert, aus dem Kolchos zu flüchten. Aber nur wenige haben den Gebirgsübergang geschafft.  Viele verliefen  sich, oder wurden zum Opfer der Wölfe. Andere wurden gefangen genommen und zurückgebracht. Einmal hat eine Gruppe von 29 Menschen diesen Schritt gewagt. Aber sie wurden in der Steppe vom Kolchosvorsitzenden persönlich eingeholt. Niemand hat es damals gewagt, Wiederstand zu leisten oder gar handgreiflich zu werden. Und somit kehrten alle erschöpft, ausgepeitscht und ohne jegliche Hoffnung auf ein besseres Leben zu ihrem Sklavendasein zurück.
Elsa war öfter bei anderen Aussiedlerfamilien zu Besuch und erzählte dann zu Hause den älteren Schwestern von geplanten Fluchten. Als andere es tatsächlich geschafft haben, den Verfolgern zu entgehen, hat man beschlossen zu fliehen. Als erste sind Liza und Berta gegangen. Nachts haben sie sich herausgeschlichen, ohne den genauen Weg zu wissen. Man wusste nur das der Weg  über und durch das Gebirge ging und dass die russischen Siedlungen von dort aus etwa 200 Kilometer entfernt liegen. Am nächsten Tag fragte der Kolchosvorsitzende, wo Annas Töchter seien und warum sie nicht auf dem Feld arbeiten. Anna sagte ihm, dass die Beiden im Bezirk „Bakanas“ was zu erledigen hätten und dass sie in paar Tagen zurück sind. Anna ging es nicht gut, sie machte sich große Sorgen um die Mädchen. Als aber drei Tage vergangen waren, begriff sie, dass es den Töchtern gelungen ist, zu entkommen. Elsa wusste, wie es ihrer Mutter ging, mit aller Kraft versuchte sie die Mutter zu trösten und ihr zu helfen. In der darauf folgenden Nacht hat sie ihren kleinen Bruder geweckt und alle drei sind gegangen. Sie hatten dabei, die zusammengesparten 18 Becher gebratenen Weizen, einen 5-Liter-Kessel mit Wasser und einen schweren Schultersack mit Kleidung, den Elsa tragen sollte. Mitten im Sommer musste sie einen Mantel tragen, damit die Bänder nicht in die Schulter einschneiden. An den nackten Füßen trug sie die aus dem rohen Schweineleder geflochtenen Schuhe, die im trockenen Zustand die Füße wund scheuerten. Deswegen lief Elsa lieber barfuß. Den „Ausbrecher“ wurde bewusst, welche Folgen für sie diese  Flucht haben könnte, deswegen gingen oder liefen sie die ganze Nacht und den ganzen nächsten Tag. Nur ein einziges Mal, als sie an einen steilen Berg ankamen und sich zwischen den riesig großen Steinen verstecken konnten haben sie es gewagt,  eine Pause zu machen, um ein wenig zu essen und zu schlafen. Im Morgengrauen kamen sie an eine Weggabelung .
„Wohin nun?“ Fragte Elsa die Mutter und drehte dabei den Kopf nach links und nach rechts!
„Es ist unwichtig,  Hauptsache möglichst schnell weg von hier, sagte die Mutter und sie liefen weiter Nach einiger Zeit aber merkten sie, dass sie im Kreis gelaufen waren. Elsa, die vorne lief, ist stehengeblieben, hat sich die angeschwollenen Schultern gerieben und runzelte nachdenklich die Stirn.
„Elsa, wir sind nicht auf dem richtigen Weg, du führst uns falsch“. Völlig erschöpft, setzt sich Karl ins Gras.“ Ich habe Angst, dass man uns schnappt“, heulte er los.
„Tatsächlich, viel weiter sind wir nicht kommen, welcher Weg ist denn nur der richtige“? –fragte Elsa Ängstlich, dabei nahm ihr Gesicht einen besorgten Ausdruck an.
„Gott, bitte lass uns nicht allein, hilf uns“, Anna  fiel auf die Knie und betete, als sie die besorgten Gesichter der Kinder sah.
„Karl, komm her, mein lieber, weine nicht, rief Elsa“, dabei hat sie versucht den kleinen Bruder zu beruhigen und auf andere Gedanken zu bringen. „Hab keine Angst, komm, lass uns Fangen spielen! Du läufst und ich versuche dich zu fangen“. Dabei klatschte sie ein paar mahl in die Hände, um den Bruder ein wenig anzufeuern, und er lief so schnell er konnte, damit die Schwester ihn ja nicht kriegt. Ein wenig später konnte man ihn fröhlich aufschreien hören: er fand einen Knopf von Lisas Kleid und hüpfte vor lauter Freude in die Luft. Es war ein Zeichen von oben und sie schritten voller Mut und Hoffnung weiter. Als sie später zu weiteren Weggabelungen kamen, wussten sie schon, was zu tun war Suchen! Auf einem Pfad fanden sie an einen Wermut gebundenen schmalen Streifen von Lisas Taschentuch. Auf diese Weise wies ihnen Lisa ein paar Mal den richtigen Weg.   
Der enge Pfad führte sie hinunter zum  Bergfuss und wieder hoch, bis sie zu einer großen Straße kamen. Elsa lief vorne, hin und wieder blickte sie zurück, ob Mutter und Bruder auch mit kommen. Im gleichen Moment sah Elsa dass die Mutter ihren Gang verlangsamte und sich die  linke Brustseite massierte. Elsa blickte in Mutters Gesicht und das machte ihr Angst. Ihre Lippen waren ganz blau geworden. Elsa nahm ihren Bruder an die Hand.
„Mama, geht es dir nicht gut“?  Fragte Elsa.
„Kinder, lasst uns vom Weg in die Schlucht hinuntergehen und uns ein wenig ausruhen, flüsterte die Mutter. Sie atmete tief und sog die schwere Sommerluft durch die Nase ein. 
Es war sehr heiß, und die Mittagssonne raubte  den Flüchtlingen die letzte Kraft. Sie waren gezwungen ihren Marsch zu unterbrechen und eine Pause zu machen.  Elsa half der Mutter, sich behutsam ins Gras zu legen. Die Sonne hatte das Grass vollständig verbrannt und lies die Steppenlandschaft noch kärglicher erscheinen. Nur hier und da wuchs das Federgras. Ein paar Meter weiter wuchs ein großes stacheliges Gebüsch, über dessen Zweige sich eine ganze Wolke fetter grüner Fliegen tummelte.   
„Karl, gib mir den Kessel und lege meinen Mantel der Mutter unter den Kopf“, sagte Elsa.  Sie legte den schweren Sack und den vom Schweiß  klebrigen feuchten Mantel ab. Elsa gab ihrer Mutter vorsichtig aus dem Kessel zu trinken. Anna hatte zwei Schlucke getrunken als sie  langsam vornüber  auf den von Karl gelegten Mantel fiel. Elsa hat den Kessel neben ihren Füßen abgestellt und versuchte die Mutter auf den Rücken zu rollen, damit sich der Atem normalisiert.
„Mama, hast du Schmerzen? Ist dein Herzchen müde geworden?“ - fragte Karl beunruhigt und klimperte dabei mit seinen hellen Wimpern. Er drehte seinen Kopf in Richtung Elsa und sah dabei eine lange Autoreihe, die die Bergstraße herunterfuhr. „Elsa“, flüsterte er leise und nickte in Richtung Straße. Elsa sprang auf und kippte dabei den Wasserkessel um. Sie griff nach ihm, zu spät,  fast das ganze Wasser war verronnen. Lediglich am Boden war noch eine kleine Pfütze geblieben.
„Ach Mutti, was habe ich bloß angestellt, flüsterte sie“. Der kleine Bruder und  Anna sahen sie verwirrt und verzweifelt an. „Verzeiht mir, es war keine Absicht, ich wollte es nicht, aber es ist fast gar kein Wasser geblieben, stotterte sie elendig“. (Dieses Wasser war für den kleinen Karl bestimmt, Anna und Elsa pinkelten in den Deckel und tranken den eigenen Urin. Der zurückgelegte Weg war nur ein kleiner Bruchteil ihrer Reise, die längste Strecke lag noch   vor ihnen. Eine Wasserquelle gab es nicht und das wäre die  einzige Lösung gewesen).    
Anna richtete ihren Blick von Elsa zur Straße und sagte leise:
„Schade! Elsa, beruhige dich, es konnte jedem passieren, Gott lässt uns nicht im Stich. Jetzt müssen wir aber schnell weiter, versteckt euch, schnell sonst erwischt man uns noch. Sie hat versucht sich zu erheben, aber es gelang ihr nicht. – Lauft, lauft, Kinder, da hinten, legt euch, seid still und bewegt euch nicht“, flüsterte Anna und zeigte Richtung Gebüsch.
„Mama, wir lassen dich hier nicht  allein“, sagte Elsa, holte den Mantel unter Annas Kopf heraus, legte ihn neben der Mutter auf den Boden und half ihr, sich darauf zu rollen. Als die Kinder Anna zum Gebüsch schleppten, scheuchten sie die Fliegen auf und spürten den fürchterlichen Gestank. Ohne darauf zu achten, stemmten sich die Kinder gegen den Boden, griffen nach dem Mantel und schleppten mühsam ihre Last hinter das Gebüsch. Dann fielen sie daneben. Man konnte bereits laufende Motoren hören, die Autokolonne näherte sich und Angst ergriff die Flüchtlinge. Sie lagen, ohne sich zu rühren und merkten nicht, dass ganz in ihrer Nähe zwei von Würmern zerfressenen Leichen lagen. Möglicherweise waren es einst  Flüchtlinge gewesen wie diese drei. Als der letzte Wagen voller Soldaten an ihnen vorbeifuhr hieß es, sie sind unbemerkt geblieben. Elsa stützte sich auf die Ellenbogen und zählte die Autos, es waren 18 Stück. Als diese Raupen auf den Rädern, wie es Karl schien, endgültig aus ihrer Sichtweite verschwand, haben sich die Kinder erhoben und gleich vor Schreck aufgeschriehen. Nur einen Meter entfernt lagen die menschlichen Überreste- Schädel, Knochen, Kleiderfetzen und andere Sachen, über denen die lästigen grünen Fliegen kreisten. Die Kinder sahen sich einander mit großen Augen an und wendeten ihre fragenden Blicke zur Mutter. Anna ging es inzwischen besser, sie hat sich verschnauft und ihre Lippen sind rosiger geworden. Als sie den Grund des Erschreckens bemerkte, setzte sie sich aufrecht, legte die Hände auf die Brust und betete für die Verstorbenen, denen so ein schreckliches Schicksal widerfuhr, ohne dabei ihren Blick vom schrecklichen Bild abzuwenden.
„Helft mir aufzustehen, bat sie die Kinder. – Gott, segne und bewahre meine Kinder. Wir müssen uns beeilen, aber erst müssen wir die Armen begraben, sonst kommen ihre Seelen nicht in den Himmel“.
„Mama, aber wie machen wir das? Wir werden es nicht schaffen, ein Grab auszubuddeln“. Ratlos faltete sie ihre Hände zusammen und drückte sie gegen ihr Gesicht.
„Wir bedecken sie mit Erde, und stellen ein Kreuz aus Zweigen auf“. Sie holte aus der Tasche die Streifen von Lisas Taschentuch. Während die Kinder die Überreste mit schwerem Staub überschütteten, band Anna zwei Zweige kreuzweise zusammen und steckte sie schließlich auf den fertigen Hügel. Dann sagte sie ein kurzes Gebet für die Verstorbenen auf und ohne ein weiteres Wort zu verlieren, gingen sie weiter in Richtung Straße. Ihre Schritte waren schwer,  um die Füße war  Sackstoff gewickelt, dessen Enden um die Unterschenkel gebunden waren.
Der Tag ging zu Ende und im Gebirge wurde es immer kälter. Es war ein Segen, dass Elsa den Mantel anhatte, der ihr und dem kleinen Karl nachts als Decke diente. Alle litten Hungerqualen und hatten Durst. Es ist dunkel  und Anna suchte einen Ort zum Übernachten für sie. Als sie später ihren Kindern etwas zu essen gab, sagte sie dabei leise:
Elsa,  wir sind in einer Bergmulde, es ist sehr gefährlich hier. Nachts streichen hier die Wölfe umher. Wir beide schlafen nach einander.
„Mama, haben die Wölfe die beiden getötet“?
„Das weiß ich nicht, möglicherweise Sie könnten aber auch erschossen worden sein, vom von den Soldaten die mit ihren Wagen heut vorbeifuhren. Oder sie könnten von einer Giftschlange gebissen worden sein, oder vor Hunger und Durst gestorben sein. Mit den Bergen ist nicht zu spaßen, sie sind gnadenlos“.
Und nochmals haben sie unter den freien Himmel übernachtet. Die Nacht verlief ruhig und mit dem Sonnenaufgang ging es weiter auf dem Weg voller Gefahren zu dem heißgewünschtem Ziel, obwohl sie auch nicht siecher waren ob sie es erreichen würden.
Mitten in der nächsten Nacht wurde Anna plötzlich wach mit einem beunruhigenden Gefühl. Im Himmel zwischen den Bergspitzen kam der Mond vor und rundum wurde hell. Leichter kühler Windstoß bewegte die Haare der schlafenden Kinder. Annas Blick schweifte über die kleine Mulde, am Rande deren sie übernachteten, die jetzt vom Mond erhellt wurde. Es war still. Sogar der leichte Wind brachte keine Geräusche, aber ein Gefühl irgendeiner Gefahr verließ sie nicht. Um die Kinder im Schlaf nicht zu stören, stand sie langsam auf, guckte und hörte sich nochmal um. Stille."Aber was gibt mir keine Ruhe? Die Nacht ist friedlich und es ist hell fast wie am Tage",- dachte sie, guckte sich um auf den Platz, wo sie noch vor einem Moment saß, und sah wie drei Schlangen in unterschiedlichen Richtungen krochen. Für einen Moment wurde Anna steif, als sie spürte, wie über ihren nackten Fuß ein kühles Band der Schlange glitt. In nächster Sekunde sprang sie zur Seite und rutschte dabei in die Mulde. Wie betäubt von dem Schreck konnte sie keinen Laut rausbringen. Mit laut pochendem Herz kroch sie hoch zu den Kindern, zog den warmen Mantel runter und sah zwischen ihnen zwei sich wärmenden Schlangen. Die Mutter wurde ohnmächtig.
Mit den ersten Sonnenstrahlen kam Anna zu sich. Die drei sind aufgestanden und kaum erholt weitergezogen. Die langen Wege zogen sich in Windungen und führten nur in die Ungewissheit. Die Hoffnung auf ein besseres Leben und an baldiges Wiedersehen mit den großen Töchtern wärmte Annas Seele und gab ihr neue Kraft. Alles, was darüber hinaus war, war ungewiss und erschreckend. Sie musste immer wieder an die verlassene Siedlung denken, wo Lida ihre Tochter und ihr anderthalbjährigen Enkel Edik geblieben waren. Wenn ihnen etwas Böses zustößt, wird sie es sich nie verzeihen können, dass sie, sie zurücklies. Ihre Seele schien sich zu zerreißen, aber andererseits gab es eine innere Sicherheit eine richtige Entscheidung getroffen  zu haben.
Es ging immer nur  Berg auf, Berg ab, man hat sich vor den vorbeifahrenden Autos in den Graben versteckt und dann wieder zur Straße zurückgekehrt, um ja nicht vom richtigen Weg abzukommen.
Am Straßenrand fanden die  Kinder Pflanzen, an deren Wurzeln sich eine dicke Flüssigkeit sammelte, die wie Wachs war. Wenn man daran kaute  vergingen Hunger und Durst. Während  sie sich dem Spiel hingaben, merkte keiner dass inzwischen 3 Laster den Berg herunter fuhren. Sie sind zurückgeblieben, während die restlichen Laster weitergefahren sind. Die Kinder rannten so schnell sie konnten in Richtung der Berge,  als aus dem Laster ein verletzter Soldat ausstieg und sie zurückrief.
-Wartet, halt, läuft nicht weg. Habt keine Angst. Mädchen, Mädchen, habt ihr denn wenigstens Wasser? Holt Geschirr, wir geben euch Wasser. Die Kinder kamen den Berg herunter, Anna kam ebenso aus ihrem Versteck. Alle drei haben sich umgesehen, erst dann haben sie sich an das Auto getraut. Die Soldaten haben den Kessel mit Wasser gefüllt und erklärt, dass man erst nur wenige kleine Schlucke trinken darf, sonst schädigt man seinen kranken Magen. Als sie erfahren haben, wohin Anna mit den Kindern geht, haben die Soldaten angeboten, sie auf dem Rückweg, so gegen den Abend, ein Stück mitzunehmen. Man sollte aber unbedingt auf diese 3 Wagen warten und sich von den anderen hüten. Anna glaubte den Soldaten nicht ganz und setzte ihren Weg mit den Kindern fort. Es war sehr schwer zu gehen, Karl hatte wunde Füße und Anna trug ihn auf dem Rücken. Und Elsa musste das gesamte Gepäck alleine schleppen!
Gegen Abend hörten sie erneut die Motoren brummen und wollten sich gerade verstecken, als sie die drei vertrauten Laster bemerkten. Die Wagen wurden bis oben hin, voll mit Saksaul beladen, so dass Anna und Elsa auf dem Laderaum festgebunden werden mussten, damit sie auf der unebenen Bergstraße nicht rausfliegen. Den kleinen Karl nahm man mit nach vorne in die Kabine. Am späten Abend kamen sie zu einem Bauernhof  wo sie übernachten wollten. Die Flüchtlinge wurden abseits von den Gebäuden weggeführt, damit das  Oberhaupt sie ja nicht entdeckte. Unter freien Himmel saßen sie bis zum Morgengrauen. Diese Sommernacht war sehr kalt, Elsas Mantel hatte sie mal wieder gerettet. Die kleine Familie sah am nächsten Morgen wie die Soldaten sich wuschen, frühstückten und sich auf den weiteren Weg vorbereiteten. Anna war verzweifelt, sie  beobachtete, wie sich dabei ihre hungrigen Kinder  fühlten und gab ihnen ein wenig von dem geröstetes Getreide, streichelte den Beiden über den Kopf und küsste sie auf den Scheitel. 
-Mama, dort, wo wir hingehen, gibt man uns da Brot? fragte Karl, ohne seinen Blick von den kauenden Soldaten abzuwenden.
-Mit Gottes Hilfe wird alles gut.
 Anders darf es auch nicht kommen, flüsterte Anna und drückte ihren Sohn fest an sich, aber ihre bedrückte Stimme klang nicht mehr überzeugend! 
Die Autokolonne fuhr los. Als letztes fuhren die 3 Laster, die die Flüchtlinge schon einmal  mitgenommen hatten. Jetzt konnten die 3 Flüchtlinge so auf der Pritsche sitzen, denn die Berge mit all ihren Höhen und Tiefen waren  geschafft und vor ihnen lag  eine große weite Steppe. Die Sonne brannte und ermüdete die Mitfahrenden, und das den ganzen langen Tag. Kurz vor Saryozek mußten sie aussteigen. Anna wollte ihre verbliebenen 60 Rubel an den Soldaten bezahlen, aber er lehnte es ab:
„Gott bewahre! Behalte dein Geld, hoffentlich hilft jemand auch unseren Angehörigen in diesem schrecklichen Krieg“. Anna war dankbar und froh zugleich.
Saryozek, war ein kleines Städtchen, doch für die erschöpften Flüchtlinge war es eine Herausforderung. Ihr müder, langsamer Gang, zerrissene Kleidung und der große Sack auf Elsas Rücken, fiel den Passanten sofort auf. Die Straßenkinder liefen ihnen hinterher und schrien  „Zigeuner kommen, guckt, Zigeuner, Zigeuner!“ Das hieß, schnell Toren zu, sonst wird man bestohlen. Diese Worte verletzten Elsa innerlich sehr. Warum dachten diese Menschen bloß, dass sie etwas klauen konnten?
„Nein, das stimmt nicht, wir sind keine Diebe, Mama hat uns immer zu Ehrlichkeit erzogen“. Dabei dachte Elsa bei sich, dass sie ebenso wie Mutter gutmütig, ehrlich und fair sein wollte. – Das Gute kommt immer zurück, und zwar vermehrt, sagte die Mutter. Elsa liebte ihre Mutter sehr und war ihr sehr ähnlich. Sie erinnerte sich, als einmal in ihre Kosakensiedlung  eine Frau mit Kind kam, deren Haus und das gesamte Hab und Gut verbrannt waren. Keiner mochte die „Abgebrannten“ beherbergen, man hat sie an den Siedlungsrand zu Anna geschickt, die mit allen Mitleid hatte. Anna lies die Beiden eine ganze Woche lang in ihrem Haus wohnen, heilte ihre Brandwunden, gab ihnen zu essen und zu trinken. Die Nachbarn konnten Annas Verhalten nicht begreifen und spotteten über sie. Als die Frau weiter ziehen wollte, denn sie mußte zu ihrer Schwester, um dort fürs Erste  untergebracht zu werden, gab ihr Anna alles Nötige für unterwegs mit. Anstatt der abgebrannten Jacke wickelte Anna die Frau und das Kind in ein großes wärmendes handgewebtes Umhängetuch. Überfüllt vor Dankbarkeit, fiel die arme Frau vor Anna auf die Knie, doch Anna hielt sie auf und bat Elsa die beiden aus der Siedlung hinauszubegleiten und ihnen den richtigen Weg zu zeigen.
In ihren Gedanken vertieft, merkte Elsa nicht, dass die schmale Straße des Saryozeks zu Ende war und sie bereits eine Landstraße entlang liefen, die zu den etwa vier Kilometer entfernten Nutzgärten der Stadtbewohner führte. Unterwegs begegnete Ihnen eine Stadtbewohnerin und sie lud sie zu sich in die Stadt zum Übernachten ein.“ Schwesterlein, wo willst du denn mit dem kleinen Kind so spät hin fragte sie mitleidig, morgen früh gebe ich euch einen Laib Brot und führe euch aus der Stadt hinaus Kommt zurück und ruht euch bei mir aus, versuchte sie Anna zu überzeugen. Doch für die erschöpfte Anna und ihre  Kinder, die kaum gehen konnten, war es schwierig, diesen Weg zurück zugehen und morgen das ganze aufs Neue. Es ging über ihre Kräfte hinaus. Die gute Frau ließ sie aber nicht allein auf der Straße stehen, sie hielt für sie einen Wagen an und segnete ihren Weg.
Der Fahrer half ihnen in den Wagen, wo bereits ein älterer Kasache saß. Im Wagen gab es keine Bänke so mussten sich alle jeweils in die Ecke setzen und sich fest an der Bordkante festhalten. Vor ihnen lag ein langer Weg, während dessen merkte Anna, wie aufmerksam der alte Mann ihre Tochter betrachtet, die ihm offensichtlich sehr gefiel. Einige Zeit später fing er an, Elsa zu bitten, seine Frau zu werden. Er  wolle ihr ein guter Ehemann sein und sie wäre seine jüngste und beliebteste Frau. Danach machte er sich mit derselben Bitte an Anna, sie solle doch ihre Tochter mit ihm verheiraten, dann würde er auch sie und ihren kleinen Sohn mit in sein Haus nehmen. Es sollte doch für Elsa eine große Ehre sein, so einen wohlhabenden und noch nicht allzu alten Ehemann zu haben.
In den anderthalb Jahren, die sie im Aul verbracht haben, haben die Kinder  Kasachisch gelernt, aber Anna hat sich diese Sprache nicht angeeignet und verstand jetzt kein Wort davon, worum der Alte so aufdringlich bat. Elsa ließ geniert ihren Kopf hängen und die Mutter bat den Karl zu übersetzen. Als sie erfuhr worum es ging, sagte sie nur ein einziges Wort: „zhok, zhok, zhok.“ (nein, nein, nein) und lies den Kasachen nicht aus den Augen. Aber letztendlich erwies er sich als ein anständiger Mann, bat sie nur im Guten, ohne Gewalt anzuwenden und als er eine endgültige Absage bekam, lies er sie in Ruhe.
Und wieder einmal nahmen die 3 Laster, Anna und ihre Kinder mit. Es war tiefe Nacht, als der Fahrer die Reisenden aussteigen ließ. Diesmal nahm er das von Anna angebotene Geld an. Er erklärte ihnen den weiteren Weg nach "Urizkaja". Sie müssten nun neun Kilometer in die Gegenrichtung von der Hauptstraße laufen.
  Die Straßengräben schützten die 3 sehr oft vor dem starken Wind. Sie  rückten dicht aneinander, um sich aufzuwärmen und schliefen dabei ein. Die Gedanken über die ungewisse Zukunft und ständige Angst, hat ihnen sooft den Schlaf geraubt. Elsa träumte, dass sie vor Verfolgern flieht, fällt  mit dem Gesicht in die Pfütze und schreit. Als sie begriff, dass sie geträumt hatte, spürte sie Erleichterung. Aber sie zitterte am ganzen Leib. Anna legte ihr eine Jacke um, versuchte sie wärmen und zu schützen. Der Regen lief ihr langsam durch das Haar ins Gesicht. Die völlig erschöpfte Anna saß auf der nassen Erde, ihre Beiden kleinen Kinder fest umarmt. Gedanklich besuchte sie ihren Mann, der im weit entfernten Gefängnis saß. Lida mit dem Enkel, die sie wegen der gefährlichen Flucht  zurücklassen musste. Lisa und  Berta, nur Gott weiß wo sie waren! Auf eigene Gefahr strebte Anna diese Ungewissheit an, in der Hoffnung, dass ihre Kinder dort eine bessere Zukunft haben werden. Mit 39 Jahren hatte Anna 13 Kinder geboren, aber leider,  nur 5 davon sind am Leben geblieben. Die Anderen hat Gott zu sich gerufen. Anna betete für sie alle. Bat Gott, den Kindern und ihrem Mann Leben und Nachsicht zu schenken und sie selbst zu verzeihen und zu segnen.
Es regnete immer heftiger. Das kalte Wasser lief ihnen bis in den Kragen. Sie hatte es nicht geschafft, wenn auch nur kurz, die Augen zu schließen. Anna zitterte vor Kälte, ihre Zähne klapperten, nasse Kleidung klebte am Körper. Sie könnte vor Verzweiflung schreien:
„Warum müssen wir diese Verfolgung, Not und Demut ertragen? Womit haben wir diesen Schlag ins Gesicht verdient? Wir sind doch auch Menschen!“ Doch als sich der Himmel am Morgen rötete, hörte der Regen auf, der Wind ließ nach und es wurde augenblicklich wärmer. Als  die warmen Sonnenstrahlen Annas Schultern berührten, zügelte sie ihr Zittern, der Druck ließ nach, die Gedanken haben sich verflüchtigt und ihre müden Augen fielen zu. Eine halbe Stunde später stand über der Erde eine dicke Nebelwolke, und als die Sonne diese „milchige“  Luft verschwinden ließ, ist es warm und schwül geworden.
„Mama, Mama, ich habe Hunger“, Karl berührte die Hand der Mutter und merkte sofort, dass er sie im Schlaf erschreckte. Von der Sonne geblendet, öffnete Anna vorsichtig die Augen und als ihr klar wurde, dass der Traum an der schönsten Stelle aufhörte, sagte sie eilig: „Ja, ja, Kleiner, gleich, und zog sich ihre Jacke mit der sie nachts ihre Kinder zugedeckt hatte wieder an. Keiner von ihnen merkte dass die gerösteten Getreidekörner die in der Jackentasche waren, nachts herausgerieselt sind. Anna fand in der Jackentasche nur noch einen kläglich Rest. Sie sammelten zusammen die Reste von dem nassen Boden ein. Wischten sie sauber und teilten sie durch drei.
Und wieder lag vor ihnen ein langer, langer Weg. Es schien ihnen, als würden sie diese neun Kilometer nie schaffen. In den vielen Zwischenpausen setzten sie sich an den Straßenrand, tranken einen Schluck Wasser, standen mühsam wieder auf um weiter zugehen. Die wundgelaufenen Füße spürten keinen Schmerz mehr. Die von der Sonne verbrannten Gesichtsstellen platzten beim Lächeln um die Augen und  den Mund herum immer wieder auf. Wie im Gesicht, so auch an den Händen gab es Hornhaut was natürlich durch die Bewegungen immer blutig aufplatzte. Vollkommen kraftlos haben Anna und die Kinder nicht gemerkt, dass sie ein Reiter einholte. Dies war der Wächter aus dem Kolchos „Trudowik“ derselben Kosakensiedlung Urizkaja, wo sie hin wollten. Der Mann nahm Karl mit auf das Pferd und begleitete sie alle bis zu dem Ort. Wo sich die anderen deutschen Flüchtlingsfamilien niedergelassen haben. Auch diese Flüchtlinge, hatten denselben Bergübergang und den 200 Kilometer langen Weg gewagt und geschafft. Während Elsa dem Wächter folgte, sagte ihr, eine innere Stimme, dass die Gefahr vorbei war. Ab jetzt hatten sie nichts mehr zu befürchten und  sie lief hoch erhobenen Hauptes durch den Ort. Sie blickte den Passanten in die Augen. War überfüllt von Stolz und Freude, dass sie ihre Angst besiegt hatten und diesen langen erschöpfenden Weg zurückgelegt hatten. Sie sah wie sich Mutters Lippen zu einem stillen Gebet zu Gott bewegten. Anna war voller Dankbarkeit!
Elsa wusste nicht, dass nach dem Erlass der kommunistischen Partei und der Sowjetregierung  wurde das deutsche Volk als Feind im eigenem Lande abgestempelt - Nur weil ihre Familie russisch und ukrainisch sprechen konnte wurden sie keinem aufgefallen. Überall liefen Menschen rum die wegen des Krieges auf der Flucht waren und viele hatten keine Ausweißdokumente. Während der Erntezeit in allen Kolchosen und Sowchosen mangelte es an Arbeitskräfte. Deswegen hatten sie schnell Arbeit gefunden.
Elsas ältere Schwestern arbeiteten bereits auf dem Feld. Sie konnte ihre Sehnsucht nach den Beiden nicht verbergen, die Mutter versuchte Elsa zu beruhigen. Sie erkundigten sich, wo sie die Beiden wohl finden könnte und rannte los. Außer sich vor Freude umarmten sich die Schwestern. Tränen vor Freude kullerten ihnen über die Wangen, der Jubel nahm kein Ende. Der Brigadeleiter sagte der Köchin, sie sollte den Neu Ankömmlingen den Kessel mit der Suppe füllen und einen Laib Brot geben. An diesem Tag aß Familie Meier, zum ersten Mal seit vielen, vielen Monaten wieder Roggenbrot. Es war schwarz und schwer, aber es roch nach kostbarem Brot. Ihr Hunger verlangte nach mehr, doch sie aßen vorsichtig, um den kranken Magen nicht zu strapazieren.
Das Leben im Kolchos war wesentlich leichter, man musste jedoch nach wie vor 12 Stunden am Tag arbeiten. Für diese schwere Arbeit gab es eine Tagesration an Proviant. Jedes arbeitende Familienmitglied bekam 400 Gramm Brot pro Tag, andere bekamen nur je 200 Gramm. Anna ging zusätzlich in die Kosakensiedlung, um in den Gemüsegärten Unkraut zu jäten. Sie bekam dafür Milch oder Buttermilch. Oft bekam Anna von den Siedlungsbewohnern Wolle, die sie dann spann und zu warmer Kleidung strickte. Sie bekam dafür eine kleine Entschädigung.
Obwohl Elsa sehr abgemagert war, arbeitete sie mit den Schwestern auf dem Feld. Manchmal schien es ihr, das das bisschen Kraft was sie noch hatte würden sie verlassen. Sie hätte sich so gern hingesetzt und ausgeruht, doch jeder hatte hier sein Pensum zu erfüllen. Elsa hatte wieder einmal sehr lange auf dem Feld gearbeitet und merkte nicht das es schon recht dunkel wurde. Als die in der Abenddämmerung nach Hause ging, merkte sie, dass sie schlecht sehen konnte. Sie kam  gerade an einer laut laufenden Trockenanlage vorbei, als von hinten ein Auto kam. Elsa hörte den Wagen nicht, stolperte und fiel direkt unter die Räder. Elsa ist Gott sei Dank nichts passiert. Der Fahrer stieg aus, sah was geschehen war, fluchte kräftig und laut, dann fuhr er Elsa nach Hause. Die meisten Dorfbewohner waren wohlhabende Ukrainer, die man „Hochly“ nannte. In einem von diesen Höfen wohnte im kleinen Bau Familie Meier. Die Hofbesitzerin, Tante Polina, sah Elsa in die Augen und sagte:
„Ach, Mädchen, Mädchen, du hast die Hühnerblindheit, es kommt von deiner Unterernährung. Es mangelt dir an Vitaminen. Man muss dich mit gekochter Leber heilen“. Dann ging sie, schlachtete ein Huhn, brachte die Innereien zu Anna und erklärte ihr, wie sie sie richtig zubereiten soll, um die Kranke mit heilender Brühe zu füttern. Zu derselben Zeit brach sich im Kolchos einer der Arbeitsochsen ein Bein und musste geschlachtet werden. Anna bekam auch die Leber, für ihre kranke Tochter. Nach einiger Zeit begann Elsa erst in der Dämmerung etwas wieder zu sehen, danach kam die Sehkraft zurück. Aber eine leichte schwäche blieb, so konnte sie nur am Tage in einer Frauenbrigade am Feld arbeiten.
Eines Tages kamen aus dem Aul ein junger Mann und zwei Frauen, sie brachten auch Lida und den Edik mit. Der junge Mann und die Frauen trugen den kleinen abwechselnd. Annas Freude kannte keine Grenzen. Sie bedankte sich bei dem jungen Mann und den Frauen vielmals, dass sie ihrer Tochter und dem kleinen so beigestanden haben. Später am Abend, als ihre Augen vor Müdigkeit zusammenfielen, flüsterten ihre Lippen immer noch Dankesworte  an Gott für seine Barmherzigkeit zu den Kindern.
Die Siedlungsbewohner sahen, wie fleißig und gewissenhaft die Aussiedler waren, man kam  gut miteinander zu Recht. Man zeigte Verständnis für ihre Situation und es gab keinen einzigen Vorfall, dass jemand sie mit Wort oder Taten verletzte. So lebten sie in diesem Kolchos anderthalb Jahre. Im Herbst 1944, Ende November, lud man sie wieder gegen ihren Willen auf die mit den Ochsen gespannten Wagen und fuhren sie nach Koksu.
Es war eine sehr große Reiche Sowchos. Es gab 4 Bereiche, die von den Höfen getrennt lagen. Als Hauptrichtung galt Landwirtschaft. Getreidefelder erstreckten sich auf dutzende von Kilometern. Die Deutschen  mussten in die weitgelegensten Abteilungen die schwerste Arbeit verrichten.
 Hier hatte es Elsa noch schwerer, sie musste in der Viehzucht arbeiten. Man schickte die Heranwachsende in die Schweinefarm zu den Muttersäuen. Es gab nur Nachtschichten für sie, in denen sie  die neugeborenen Ferkel annehmen musste. Jeden Tag musste Elsa erst vier Kilometer zu Fuß laufen, bevor sie eine 12-Stunden Schicht antrat. Und nach der Arbeit ging es zurück in die langen Baracken, wo alle Aussiedler zusammen wohnten. Ständiger Lärm und Kindergeschrei ließen Elsa nicht einschlafen, denn über 30 Leute wohnten auf einem Raum. Und so ging Elsa übermüdet jeden Abend zu Fuß zur Arbeit in die Nachtschicht.
Es war Mai 1945. Der langersehnte, schwer erkämpfte Sieg des Sowjetischen Volks über die faschistische Armee war da. Keiner versteckte seine Freudentränen. Jeder hatte  auf ein besseres Leben und auf baldige Rückkehr der Männer gehofft. Die deutschen Aussiedler haben sich ebenso über den Sieg der Sowjetischen Armee gefreut, obwohl sie unverdient als Heimatverräter bezeichnet und in die weitesten Ecken des Landes verbannt wurden. Elsa hoffte, dass bald die Männer in den Kolchos zurückkehren würden, das es somit mehr Arbeitskräfte gibt und sie endlich wieder zurück in die Ukraine ziehen können. Doch die Ausreise wurde ihnen untersagt! Sie hatten kein Recht zurückzufahren in die Gegend, wo sie vor dem Krieg wohnten.
Nach dem Krieg wurde Elsa als Melkerin versetzt, diese Arbeit war nicht viel besser als die vorherige. Die Farm lag am Gebirge und es war nicht einfach, die um 4 Uhr morgens beginnende Schicht anzutreten. Sie arbeitete ebenso hart wie die jungen Frauen. Elsa musste drei Mal täglich zwanzig Kühe per Hand melken, und dies neben der Kälberzucht. Morgens früh wenn Elsa auf wachten, spürten sie ihre geschwollene und tauben Finger nicht, doch das  nächste Tageswerk wartete schon. Aus den Baracken hörte man öfters Aufschreie oder Schluchzen. Es hieß, die Mädchen massierten und versorgten sich mit Maschinenöl die offenen Wunden und Ekzemen an den Händen. Manchmal, wenn viele Kälber geboren, oder krank wurden, kamen sie tagelang nicht nach Hause. Geschlafen wurden lediglich 2 Stunden zwischen den einzelnen Melkgängen, irgendwo zwischen den Kühen, und dann kam schon die  nächste Schicht. So arbeiteten sie wie ein Uhrwerk, ohne den laufenden Arbeitsgang  zu unterbrechen. Manchmal hatten sie vergessen zu essen und zu trinken, sie waren jung und scheuten keine Arbeit.
Mit Familie Meier kam auch ein Familie Freitag in die Siedlung. Aus dieser Familie stammte Vladimir Freitag, der zukünftige Ehemann von Elsa.  Es war wohl von Gott vorgesehen, dass sich die Beiden trafen, sich verliebten und etwas später heirateten.
Mit der Zeit hat sich das Leben wieder eingespielt, in der Familie Vladimir Freitag  kamen gesunde und fröhliche Kinder auf die Welt. Man spürte wieder Gemütlichkeit, die Familie war glücklich! Aber in den seltenen Minuten der Einsamkeit erinnerte sich Elsa an den traurigen Abschiedsblick ihres Vaters zurück, in jener Novembernacht 1937. Viele lange Jahre lebte sie mit dem Gedanken, der Vater habe sie nach all ihrem Umherwandern nicht gefunden. Vielleicht lebte er ja noch  irgendwo, wenn es auch am anderen Ende der Welt ist. Aber dem sollte nicht so sein.
Das Leben hatte sein Lauf genommen. Viel später, als Elsa Emmanuilowna zurück in ihre Heimat ziehen wollte, benötigte sie ihre Geburtsurkunde, die während der zahlreichen Umsiedlungen verloren gegangen war. Es wurde eine Kopie in ihrem Geburtsort beantragt. Das neue Dokument hat nicht nur Erstaunen, sondern Wut und Zorn bei allen Familienangehörigen hervorgerufen, denn in der Spalte „Eltern“ fehlte der Name des Vaters.
„Oh, Gott, was für eine Ungerechtigkeit“! Elsa Emmanuilowna kochte innerlich vor Wut.“ Wir, 13 Kinder, erblickten das Licht dieser Welt, ohne einen Vater zu haben? Was für eine Lüge! Wir hatten einen Vater, einen lieben Vater! Ich erinnere mich noch  heute an ihn“!  Eine halbe Nacht lang schrieb sie einen Brief, den sie in einfachen Worten verfasste und nach Moskau, an den Oberrat schickte.
Einige Monate später kam unerwartet ein Brief per Einschreiben aus der Ukraine.
Elsa Emmanuilowna unterschrieb mit zittriger Hand, nahm den Brief entgegen und setzte sich langsam auf den Stuhl. Ihr Herz raste, aber sie holte ein Messer, öffnete die lang erwartete Sendung und las die amtlichen Zeilen, die in schöner Frauenschrift verfasst war. In diesem Dokument teilte man ihr mit, dass ihr Antrag in der Kommission des Oberrates der Sowjetunion für die Rehabilitationsangelegenheiten der in den 30 und 50 Jahre anwesenden  Sowjetbürgern bearbeitet und in das Archiv des Gebietes  Donezkaja gesendet wurde.
Elsa Emmanuilowna las immer schneller, doch plötzlich hörte die Frau mit der schönen Schrift auf, in der Amtssprache zu schreiben, und kam zum Wesentlichen. Sie schrieb: „Meier, Emmanuil Christianowitsch, wurde am 16. November 1937  durch die Stadtabteilung NKWD Makeewskij, in Haft genommen. Wegen der nicht begründeten Anklage, gehört zu der angeblich damals existierenden „antirevolutionären deutschen Spionorganisation und Diversion“ .Laut Verfügung der UNKWD- Drei*, vom 13. Dezember 1937, wurde der oben genannte  zur Höchststrafe- die Erschießung verurteilt. Über Information bezüglich des Ortes der Vollstreckung verfügen wir nicht. Es ist aber bekannt, dass laut der damals existierenden Anordnung, solche Todesurteile sofort vollstreckt wurden. Die Erschießungsorte wurden nirgendwo vermerkt. Für die, in den Dokumenten sowie in der Geburtsurkunde unterlaufenen Unterstellungen bitten wir um Entschuldigung…
Das war Alles??
Es wurde Elsa dunkel vor Augen, der Brief fiel zu Boden, Elsa Emmanuilovna deckte das Gesicht mit ihren Händen zu, sie konnte den drückenden Schmerz und die Wut  nicht mehr bändigen und brach in Tränen aus.
Ohne sich zu bewegen, saß sie schweigen auf dem Stuhl. Es schien, als wenn sie nicht mehr weinte, aber ihr kullerten die dicken Tränen auf die Bluse. Wie sie später als ältere Frau über diesen Brief saß mit all ihren schrecklichen Einzelheiten, merkte sie nicht, wie sie in Gedanken  wieder in ihre Kindheit zurückkehrte und an ihre lieben Eltern dachte.
Sie erinnerte sich an die melodische Stimme ihres Vaters. Papa sitzt in der Zimmermitte auf dem kleinen Bänkchen und spielt für uns auf der Ziehharmonika. Seine Finger laufen in Leichten Bewegung über die dreireihigen Tasten und schon erklingt eine zarte Melodie. Hinter seinem Rücken steht Mama lächelnd, leise mitsingend schwingt sie ihre Schultern nach  links und rechts. Ihre Stimmen klingen sooo schön zusammen, dass Elsa Emmanuilowna lächelt. Plötzlich war die schöne Sinnestäuschung weg und über ihre Haut lief ein Frösteln.
„Gott, ich bitte dich, hilf mir dies alles zu verkraften und so hinzunehmen, wie es ist. Denn nur durch Dank, Glaube und Hoffnung lebt der Mensch, flüsterte sie“, drückte Beide Hände auf die Brust  und spürte dabei einen nassen Fleck auf ihrer Bluse. Sie wischte kräftig und voller Kraft  ihre Tränen weg, stand auf und sagte zu sich selbst:
„Ich bin stark, ich werde auch dies überleben. Mein Lebensweg geht weiter. Ich werde nur noch vorwärts schauen!"
Es sind viele schöne Jahre vergangen, erst Kinder, dann auch Enkel, mittlerweile gibt es auch schon Urenkel. Doch die schwere Kindheit sitzt in Elsas Seele so fest verankert dass es ihr keine Ruhe lässt. Der Krieg hat tiefe offene Wunden hinterlassen. Elsa Emmanuilowna ertrug und trug all die unvergesslichen Entbehrungen und Leiden durch ihr ganzes Leben. Doch manchmal kommt die Frage: “ Habe ich das alles erlebt und verkraftet “?
Im Hinblick auf den ganzen Lebensweg von Elsa Emmanuilowna, der liebsten Frau, die wirklich lieben und verzeihen kann, die aufrichtig an Gott glaubt und fest davon überzeugt ist, dass man den Menschen vertrauen sollte, lebt sie in der Bereitschaft zu teilen und zu helfen dies ist der Sinn ihres Lebens!
All die Schmerzen, Tränen und Entbehrungen kann man wohl  kaum in Worte fassen, was hier liebe Menschen versucht haben!
24.12.2011
Veronika Au
Ermächtige Diplom-Übersetzerin
Russisch-Deutsch-Kasachisch