Verlorene Weihnachten

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Elena Dumrauf-Schr;der
VERLORENE WEIHNACHTEN

Die kleine Berta ging behutsam aus einem ins andere Zimmer und suchte mit den Augen nach etwas Ungew;hnlichem. Sie wurde unl;ngst drei Jahre alt und w;hnte sich schon erwachsen. Daher war sie voller Erwartung auf die kommenden Weihnachten. Denn zwei Tage zuvor sagte Mama zu Bertas ;lterem Bruder, ;bermorgen beginnen Weihnachten und die Tanne wird geschm;ckt. Also, ist es heute! Ohne zu wissen, wer und was das sein soll, hoffte sie etwas Besonderes und unbedingt Buntes zu sehen. Oma erz;hlte, dass zu Weihnachten das Christkind kommt und unter dem Weihnachtsbaum Geschenke f;r brave Kinder hinterl;sst. Sie kann sich nicht mehr an die Weihnachten des Vorjahrs erinnern, aber sie hat eine Puppe und die, sagte Mama, h;tte ihr das Christkind geschenkt.
‚Herrlich! Alles muss heute passieren‘, freute sie sich ;ber ihre eigene Vermutung. ‚Denn Papa hat heute morgen gesagt, er spanne das Pferdchen ein und fahre in den Wald einen Tannenbaum holen.‘
Am Morgen, das Geschirr abgesp;lt, ging Oma in ihr Zimmer und zog die T;r hinter sich zu. Das bedeutete, man darf nicht zu ihr, sie hat Kopfschmerzen oder braucht einfach Ruhe. Fr;her lebte sie irgendwo weit weg und kam zu uns im Herbst, als Mama und Papa Kartoffeln ernteten. Jetzt wohnte Oma in ihrem Zimmer. An der T;r anhaltend h;rte die Kleine Papierrascheln, dann wurde alles still. Nichts ereignete sich mehr und sie suchte erfolglos weiter. Entt;uscht ging sie zum K;chentisch, erhob sich auf die Zehenspitzen, um zu sehen, womit Mama besch;ftigt gewesen war. Mutter hatte eine wei;e bunt gestickten Sch;rze um und ein Halstuch auf dem Kopf. Sie knetete den Teig in einer gro;en Emailsch;ssel. Es roch angenehm nach Vanille. Und das bedeutete, dass Mama sehr besch;ftigt war und verschiedene Leckereien backen wird: Milchbr;tchen, Krusel, Tweeback, Griebenpl;tzchen und vielleicht sogar ihre Lieblingskekse. In ihrer Familie waren solche reich gesegneten Feiertage sehr selten. ‚Warum ist Feiertag da, aber Weihnachten nicht?‘ ;berlegte sie. Berta, so hie; das M;dchen, krabbelte auf den Hocker nebenan und gr;belte: ‚Wohl ist Weihnachten schon da. Deswegen kocht Mutter, und Vater holt einen Tannenbaum. Aber warum ohne mich? Ich bin doch ein braves M;dchen und kann schon den R-Laut aussprechen.‘ Sie wurde traurig. ‚Wie konnte ich nur Weihnachten verpassen? Und wo ist das Christkind mit den Geschenken? Vielleicht haben sie unser Haus noch nicht erreicht? Es st;rmt drau;en, sie k;nnen sich noch verirren. Auch Papa ist noch immer nicht mit dem Tannenbaum zur;ck… .‘ Ihre Gedanken machten sie immer und immer traurigen.
Pl;tzlich ereignete sich im Hausflur ein lautes Ger;usch, die T;r ging weit auf und Bruder Willy mit Vater trugen eine kleine, aber echte, sehr buschige Tanne herein. Danach holten sie einen alten Eimer mit Sand und trugen beides ins Wohnzimmer. Es roch ungew;hnlich nach frostiger Luft. Berta sah zum ersten Mal einen echten Tannenbaum und lief froh hinterher.
„Trete nicht so nah an die Tanne“, sagte Mama, ihre H;nde abtrocknend. „Du erk;ltest dich. Die Tanne ist noch gefroren. Wenn sie Taut sie auftaut, hilfst du sie zu schm;cken.“
„Mama, Mama, ist Weihnachten schon da?“ –
„Ja, mein Kindchen, heute ist Weihnachten.“ –
„Und wo ist es? Warum sehe ich es nicht? Mama, und wo ist das Christkind mit den Geschenken?“ –
„Heute Abend, mein T;chterchen, alles passiert am Abend. Und jetzt st;re bitte nicht, du bist noch klein, hindere nicht Papa. Spiele mit deiner Puppe.“ –
„Mama, Willy hilft Papa, darf ich mit dir Teig kneten?“ –
„Nein, Berta, den Teig darf man nicht mehr anr;hren, er muss gehen.“ –
„Mama, wohin muss der Teig gehen?“ fragte sie begriffsstutzig und verwundert, indem sie ihr Stupsn;schen r;mpfte.
„Bis zum Rand der Sch;ssel.“ Mutter hob das Handtuch und zeigte, wie hoch der Teig kommen muss. Das M;dchen guckte in die gro;e Sch;ssel und zuckte mit den Schultern. Es war f;r sie unbegreiflich, wie ein kleiner wei;er Teigkn;uel auf dem Sch;sselboden bis zum Sch;sselrand steigen soll. Erneut mit den Schultern zuckend nahm sie ihre Puppe und setzte sich in die Ecke des breiten Holzdiwans, der mit einer selbstgestrickten Decke bedeckt war.
Die Puppe Betty ist ein besonderes Spielzeug. Sie wurde aus grobem Stoff gen;ht, mit Watte gef;llt, mit buntem Moulinezwirn wurden Lippen, Nase, Brauen ausgen;ht und schwarze Augen-Kn;pfchen angen;ht. Sie h;rte sich alle fr;hlichen Nachrichten und traurigen Kr;nkungen Bertas an. Auch jetzt: „Betty, Betty, h;r mal…“  fl;sterte sie, Puppe wie einen Schatz an sich dr;ckend. „Sie denken, ich sei klein. Erz;hlen allerhand: die Weihnachten und  der Teig k;nnten ohne F;;e gehen. So was gibt es nicht! Als verstehe ich nicht, dass jemand die Geschenke ins Haus bringt. Doch nicht die Katze Mulka? Und wer dann? Vielleicht ist Weihnachten doch ein Mensch. Oma erz;hlte, man solle einen Teller unter den Tannenbaum stellen und das Christkind lege ein Geschenk hinein.“ Die Puppe war mit ihr einverstanden. Und Berta urteile weiter laut. „Das kleine Christkind kann allein nicht so viele Geschenke tragen. Also hilft ihm Weihnachten. Bestimmt ist es ein Mensch!“ schlussfolgete sie, setzte die Puppe in die Diwanecke und sagte mit geheimnisvoller Stimme: „Betty, ich m;chte so sehr ein Geschenk bekommen! Schau bitte immer Richtung T;r, sonst bemerken wir sie nicht.“ Und sie ging nachzusehen, ob die Tanne schon aufgetaut sei. Man muss sie mit etwas schm;cken und unbedingt einen Teller f;r Geschenke darunter stellen. ‚Und womit die Tanne schm;cken?‘ dachte sie und zog die B;ndern aus ihren Haarz;pfchen und versuchte, die Tanne damit zu schm;cken.
Die Zeit zog sich unendlich lang dahin. Endlich kam Oma aus dem Zimmer, in der Hand ein Flechtk;rbchen mit irgend welchen kleinen Schmucksachen.
„Oma, Omachen, hast keine Kopfschmerzen mehr?“ lief das Enkelkind fr;hlich ihr entgegen. „Oma, und was gl;nzt in deinem K;rbchen? Ist es ein Geschenk vom Christkindchen?“
Das M;tterchen beugte sich zu Berta und k;sste die Enkelin am Oberkopf.
Als diese angenehme Arbeit fertig war und Oma wieder in ihr Zimmer ging, trat Berta zum Fenster zur;ck, um die Tanne besser einsch;tzen zu k;nnen, breitete die H;ndchen wie zwei Fl;gelchen aus und fl;sterte: „Ach, welche Pracht! Einfach h;bsch! Ich wusste doch, dass  s o  w a s  sein muss zu Weihnachten.“ Sie lief ins Zimmer zu der Mutter und bat um zwei Teller, um sie unter die Tanne f;r Geschenke zu stellen, eins f;r sie und eins f;r ihren Bruder.
Die ganze Familie bereitete sich zum Abendmahl vor. Oma holte eine alte wei;e Tischdecke hervor und schon war der Tisch feierlich gedeckt. Mama hatte Berta ein neues Kleidchen mit einem gro;en Band in der Mitte angezogen. Sie f;hlte sich darin wie die h;bsche Tanne. Mama und Oma trugen wei;e Blusen, Papa und der Bruder hatten gleiche, von Oma gen;hten Hemden an. So sch;n hatte Berta die Familienmitglieder noch nie gesehen. Sie nahm ihre Puppe Betty auf den Arm und setzte sich neben Oma.
Eine geheimnisvolle Stille trat ein. Oma erhob sich, umschweifte alle mit einem z;rtlichen Blick, legte die H;nde zusammen und sagte ganz ruhig: „Liebe Kinder, unverschuldet lebten wir viele Jahre getrennt und hatten keine M;glichkeit, uns zusammenzufinden, solch einen herrlichen Tisch zu decken und die Geburt Jesu zu feiern… .“
„O-oma! Und wo ist Weihnachten?“ rief die Enkelin erschrocken.  „Weihnachten ist doch nicht gekommen? Es und das Christkind haben sich wahrscheinlich verlaufen!“ Berta sah fassungslos Oma an. „Wie konnten wir sie vergessen?“ Tr;nen traten in ihre Augen.
„Mein M;dchen, beruhige dich, alles in Ordnung!“ Sie dr;cke sie liebevoll an sich. „Weihnachten steht f;r das Wort Geburt. Heute ist Jesus Christus geboren.“ Oma streichelte ihr ;ber das helle K;pfchen. „Geboren!? Und wo ist er?“ l;chelte Berta durch die Tr;nen. „M;dchen, er ist schon lange her, dass er geboren wurde, aber er ist immer mit uns. Er ist dein Schutzengel. Oma erz;hlt dir sp;ter von ihm.“ sagte Mama ganz leise.
„Siehst du, Betty, ich habe dir doch gesagt, dass Weihnachten ein Mensch ist! Somit hat er F;;e und kann gehen und folglich dem Christkind helfen die Geschenke zu bringen“, teilte sie ihrer Puppe die frohe Botschaft mit und blickte Richtung Bruder und  Eltern, zwinkernd und mit den Wimpern energisch zwinkernd.
Und alle mussten darauf selbstverst;ndlich pl;tzlich lachen.
Als es wieder am Tisch still wurde, sprach Oma ein Gebet und das langersehnte Abendessen, anl;sslich der Geburt des unsichtbaren Schutzengels, der den Kindern Geschenke und den Erwachsenen Hoffnung und seelische Erleichterung bringt, dauerte ungew;hnlich lange. Es wurde ;ber die Kriegsbeschwernisse, die Trudarmee, aus der Oma im Herbst endlich entlassen wurde, gesprochen, es wurde der Verwandten und der Bekannten gedacht, die es nicht geschafft haben. Man hoffte, dass die lichte Zukunft bald eintritt, man tr;umte von einem sch;nen Leben f;r sich und das ganze riesige Land.
Das Neujahr 1949 r;ckte heran!


Ïåðåâîä ñ ðóññêîãî ÿçûêà íà íåìåöêèé ÿçûê Âåíäåëèíà Ìàíãîëüäà,
;bersetzung – Wendelin Mangold                24.08.2015.