Teil 11 Antwort auf Erlassgesuch

Моргенштерн 2
" Gerichtskosten koennen erlassen werden, wenn es zur Foerderung
oeffentlicher Zwecke geboten erscheint, wenn die Einziehung mit besonderen Haerten fuer den Zahlungspflichtigen verbunden waere
oder wenn es sonst aus besonderen Gruenden der Billigkeit

entspricht. Eine besondere Haerte ist insbesondere anzunehmen, wenn sich der Schuldner in einer unverschuldeten Notlage befindet und zu besorgen ist, dass die Weiterverfolgung des Anspruchs zu einer Existenzgefaehrdung fuehren wuerde.

Ratenzahlungsvorschlaege werden grundsaetzlich beruecksichtigt.

Sollten die geforderten Angaben und Belege nicht fristgerecht eingereicht werden, ergeht eine Entscheidung nach Aktenlage.

Die Kostenschuldnerin befindet sich nur voruebergehend (?!)
in Zahlungsschwierigkeiten."

UND NIEMAND STELLTE FEST,DASS DIESE SCHWIERIGKEITEN DIE ADVOKATEN GESCHAFFEN HABEN!

Die Mutter persoenlich schuldete der Staatskasse NICHTS.

Nach einem fast zweijaehrigen Kampf und unsaeglichem Leiden
schien die Gefahr einer Pfaendung von 569 DM an Gerichtskosten gebannt zu sein:

                "DER GERICHTSPRAESIDENT
      
              Sehr geehrte Frau Morgenstern!

Betrifft: Ihr Kostenerlassgesuch

Wegen Ihrer persoenlichen und wirtschaftlichen Verhaeltnisse und im Hinblick auf die Vollstreckungsbestimmungen nach den Pfaendungsvorschriften der ZPO wird die Landesjustizkasse von weiteren Vollstreckungsmassnahmen absehen."

Doch die Freude wehrte nicht lange. Die Entscheidung des Praesidenten missachtete die Anwaeltin Vack. Sie unterstand keinen Gesetzen, nur dem Ruf des Geldes. Im Oktober 1999 drehte sie den Spiess um und konfrontierte mit dem Pfaendungsbeschluss die Rentenanstalt BfA direkt. Sie verheimlichte ihren Namen. Als Glaubiger nannte sie die Bau- Union.

       Antwort aus der BfA an die Adresse von Frau Vack:

"Sehr geehrte Damen und Herren! Nach § 640 ZPO/ § 316 AO erklaeren wir, dass wir die Forderung anerkennen und zur Zahlung BEREIT SIND (?!!- Autor M2).
Teilen Sie uns bitte mit, auf welches Konto der gepfaendete/ abgetrennte Teil der Rente ueberwiesen werden soll.
Mit freundlichen Gruessen !
BfA. "

Ach, welche Leichtigkeit! Wie elegant! Wie froehlich!

-Wir erkennen alles an,-sagten die.- Wir sind bereit! Wir sind bereit, ein Leben zu zerstoeren, nur weil wir ab 1.1.1992 diese Rentenauszahlung an uns gerissen haben, denn Frau Morgenstern ist eine Akademikerin ! (Mit den Arbeitern haben wir nichts zu tun.) Uns ist es egal, wie Sie heissen und ob sie Damen oder auch Herren sind, sagen Sie uns bloss Ihr Konto, und wir verschleudern die Rente dahin. 

Diese Nachricht aus der BfA hat meine Mutter voellig ueberrascht! Wer? Wer pfaendet?! Was fuer einen Pfaendungsbeschluss?
- Mir wurde NICHTS zugestellt!,- sagte sie im sofortigen Telefonat an die BfA.

2 Tage spaeter kam das Schreiben von der BfA - Berlin:

       "Sehr geehrte Frau Morgenstern! Eine Honorarrechnung von der RAin Vack liegt hier nicht vor. Der anonyme Pfaendungs- und
Ueberweisungsbeschluss weist lediglich eine Forderung von
insgesamt 1.189,78 DM aus. (?!- Autor M2)
Wie diese Forderung zustande gekommen ist, entzieht sich unserer Kenntnis und ist fuer uns NICHT VON BELANG (!!!- Autor M2)
Dies muessten Sie direkt mit den Rechtsanwaelten klaeren."

(Was?! Um noch mehr Rechnungen von denen zu bekommen? Wie leicht sagen es die Leute dahin, um andere Leute ungluecklich zu machen! Nie wieder Anwalt! - Autor M2).

-2-

Meine Mutter hat an die BfA geschrieben:
"Bitte stoppen Sie die Pfaendung bis zur Klaerung. Ich bin als Behinderte in Not anerkannt worden. Ich habe noch den Ausbildungskredit fuer meinen Sohn zurueckzuzahlen. Meine Miete betraegt 800 DM."

                Kontosperrung

Eines Abends ging meine Mutter zum Geldautomaten:
                IHRE KARTE IST NICHT ZUGELASSEN ! -
grosse Buchstaben sprangen ihr in die Augen. Was ist passiert?
Was hat sie verbrochen?! Es war das Wochenende, und niemand in der Sparkasse, der ihr antworten koennte.

Sie brauchte 5 Mark fuers Brot und Milch.
Nun stand sie da ohne Geld und Lebensmittel.

Die ganzen Folgen der Sperrung waren uns damals nicht bekannt.
Hunderte oder hunderttausende BRD- Buerger sind bereits 
deklassiert worden, in dem ihnen ein Konto gesperrt oder
verweigert wurde. Ohne Konto- Nummer konnten die Arbeitslose

keine Arbeit bekommen. Ohne Arbeit gab es keinen Mietvertrag,
also keine Wohnung. Hatte man eine Wohnung, so konnte man von da an die Miete und die Rechnungen an Strom, Telefon etc. nicht
abbuchen lassen.

Man geriet auf die schwarze Liste in der SCHUFA, einer Banken-
Selbstschutz - Organisation gegen das Fussvolk. Die SCHUFA
hebelte die Menschenrechte aus.

Die Menschenwuerde ist unantastbar, es sei denn, jemand will deinem Geld
an den Kragen.

Keine positive Reaktion von der BfA. Die Schreibtischtaeter hoeren nicht auf die Opfer. Sie stehen Gewaehr bei Fuss fuer die Taeter.
Sprich nie mit den Untertanen!
Wende dich gleich an den obersten Chef!
Aber wer ist das? Fuer alle Aemter und Konzerne traten nur
Pressesprecher auf.

Die BfA- Hierarchie kannte meine Mutter nicht.
Die BfA- Schreiber fuehrten fast den gleichen Maskenball wie
die Juristen: keine Vornamen,keine Funktion, kein Geschlecht; geheim - Maennlein oder Weiblein?

Du kannst dich tausend mal beschweren- ihre falsche Tat werden
die tausend mal durch Ignoranz verteidigen und alle deine Beweismittel in Papierkorb werfen. Sie wollen ihre Bereitschaft zu pfaenden nicht rueckgaengig machen.

Sie fuerchten sich vor anonymen Anwaelten um ihre Arbeitsplaetze, falls sie derer Forderung nicht nachkommen.

Es vergingen fuenf lange Jahre, bis man die BfA-Hierarchie
ein wenig ausgekundschaftet hat.

...Die Mutter war am Boden zerstoert. Sie hungerte. Am 29. Mai wartete sie auf ihre Rente. Keine Ueberweisung. Am 30. Mai -
nichts. Am 1. Juni- nichts. Danach war Wochenende. Man kann in der BfA nicht anrufen. Am Montag war Feiertag- zur Freude der Schreibtischtaeter, die sich davon erholen wollen, was sie uns tagtaeglich antun.

Am Dienstag rief die Mutter in Berlin an:
- Wo bleibt meine Rente?
- Wir haben Ihre Rente verrechnet mit den Schulden an Rechtsanwaelte.
- Ich habe keine Schulden! Sie pluenderten meine Rente, ohne zu begreifen, dass dies meine einzige soziale Leistung ist! Ich habe nichts zu essen! Ich kann meine Miete nicht bezahlen! Sie werfen meine Rente in den Rachen der Betruegerin Vack!

Sie ging in die neue Bank, wo sie vor einigen Tagen ein neues Konto eroeffnete, weil die als Bank fuers Volk in der Werbung
gepriesen wurde, und hat um einen Vorschuss gebeten. Die
Bankleiterin HALKA PINSEL fuhr aus der Haut, als sie den Wunsch meiner Mutter hoerte. Kein Vorschuss!

Die Mutter riskierte: sie tippte in den Geldautomaten 100 DM ein. In dem Moment sprach sie eine Frau an, die neben an mit dem Kontoauszugsdrucker nicht zurecht kommen konnte. Mama half ihr, drehte sich um und ging fort. Nach 20 Schritten fiel ihr ein, dass sie 100 DM liegen liess.

Sie kehrte zurueck. Der Vorraum war menschenleer. Sie sprach am Schalter vor. Nein, die wuessten nichts. Sie soll die polizeiliche Anzeige gegen die Frau erstatten. Der Kontoausdruck zeigte, dass 100 DM abgehoben wurden. Das war die Rueckerstattung vom Vermieter fuer die Betriebskosten.

Was tun? Im Nebengebaude befand sich das Sozialamt. Die obdachlosen Buerger bekamen dort je 17 DM pro Tag fuers Essen und Trank. Die Mutter haette fuer 17 DM eine Woche leben koennen. Aber so viel Geld blieb nicht uebrig nach Bezahlung von Miete, Strom, Wasser und Heizung. Ein eigenes warmes Zimmer war fuer sie sehr wichtig.

Um auf der Strasse zu leben, muss man eiserne Gesundheit haben.

Sie klopfte an der Tuer mit dem Zettel: "Sprechstunde fuer dringende Faelle".

Aus dem Tagebuch meiner Mutter:
" Am Schreibtisch sass Frau Schuh, die richtig erschrocken war, als sie hoerte, dass ich nichts zu essen habe. Sie rief Frau Sue an, die fuer meine Strasse zustaendig war. Bei Frau Sue musste ich einen Antrag ausfuellen und zu Hause auf Antwort warten.

2 Tage spaeter ist der Bescheid gekommen:
    "Sie beantragten Kleidergeld in Hoehe von 300 DM. Ihr Antrag wird abgewiesen."
Ich glaubte meinen Augen nicht! Ich beantragte kein Kleidergeld! Ich habe goldene Haende. Ich naehe und stricke selbst. Ich mache aus alt neu!

Wie ist Frau Sue auf die Idee gekommen?!

Frau Sue am Telefon:
- Ich wuesste nicht, zu welchem Paragraph ich Sie anordnen koennte. Gehen Sie zum Sozialamt fuer Schwerbehinderte.

Gehen ist fuer mich zum Problem geworden. Mir tut alles weh, ich habe immer Fieber, meine Kleidung ist durch generelles Schwitzen durchnaesst. Tag und Nacht. Mein gebrochener Arm ist in der Hitze angeschwollen und schmerzt. Ich passiere den Eingang mit dem Hundeverbotsschild und klopfe an der 3. Tuer rechts. Dort sitzt Herr Ge.

Ist das nicht die Kinderliebe von Nadja Sch.? Ich weiss schon lange, dass er Sozialarbeiter ist. Er schaut mir direkt in die Augen:
- Erzaehlen Sie, was haben Sie fuer ein Problem?
Ich erzaehle.
- Waren Sie schon in Ihrem Sozialamt?
- Ja.
- Und?
- Mein Antrag wurde mit falscher Formulierung abgelehnt.
- Wer ist Ihr Vermieter?
Ich antwortete.
- Aha! Ich kenne Ihren Sozialarbeiter. Er wird mit Ihnen eine Ratenzahlung fuer die Miete vereinbaren. Und wenn er dagegen ist, sagen Sie es mir.
- Aber nein! Er ist nicht dagegen, nur ich habe kein Geld fuer die Raten. Woher nehmen? Ich habe Hunger.

Er springt auf und ruft Frau Gold an:
- Ich bin's. Ich danke dir. Ja, das ist ein Junge geworden. Heute hole ich ihn ab. Er ist schon 3 Tage alt. Ja, hier habe ich jemanden fuer dich, eine Buergerin, sie kommt jetzt zu dir hoch, Postleitzahl...

-3-

...Also hat Nadja vor drei Tagen einen Sohn geboren, Karl-Gregor soll er heissen. Klingt hart. Daraus kann man keine zaertlichen Kosenamen bilden. Ich habe fuer mein Soehnchen einen Vornamen ausgesucht mit einem dutzend liebevollen Kosenamen auf deutsch und auf russisch.

Ich sehe mir Herrn Ge an. Er und Nadja lernten in einer
Klasse 10 Jahre lang. Danach heiratete er ihre gemeinsame Freundin aus der gleichen Klasse. Als das Ehepaar bereits drei
Kinder hatte, verliess die Frau ihren Mann und Kinder.

Nun sprang Nadja in die Bresche und versorgte die ganze Familie.
Sie verliess ihren Mann und ist mit ihrer Tochter beim Herrn Ge
eingezogen. Er wurde ihr dritter Mann, aber endlich ihr Traummann.

Die Geruechte ueber seine getrennte Ehefrau lauteten: sie trinkt. Aber das kennen wir doch: die verlassenen Maenner verleumden ihre Frau so: Hure, Sauferin, kann mit Geld nicht
umgehen- das sind eben die Makel, die ein Aussenstehender nicht widerlegen kann, und glaubt dem Mann aufs Wort.

Also ist der Mann gut, aber die Frau- schlecht?..
Ich wollte dies schon lange klaeren, aber hier habe ich ihn nicht
erwartet. Das ist also sein neuer Job. Es ist hier hell,
warm, und die Muecken stechen nicht.

Frueher arbeitete er mit den Jugendlichen irgendwo im Zeltlager. Herr Ge ist hoch gewachsen, abgemagert, er hat verfaulte Zaehne,
farblose, sehr duenne, ungekaemmte Haare und liederliche Kleidung. Seine Hose ist ihm zehn Nummern zu breit, sie haengt
um seinen Hintern ringsherum.

Es koennte noch ein Herr da hinein passen. Sein Blick ist leer,
keine Teilname an meinem Schicksal, kein Begreifen.
Und ER soll fuer die Schwerbehinderten zustaendig sein?!

Er schiebt mich in die 2. Etage zu Frau Silber ab. Sie ist fuer
meine Postleitzahl zustaendig. Er sagt, dass sie diejenige ist, die mich ueberall begleiten wuerde und vorsprechen wuerde, wenn
ich nicht mehr kann. Mein Fall waere nicht sein Fall.

Ich gebe mir grosse Muehe und gehe zum Lift. In der 2. Etage
sehe ich einen sehr langen Korridor und suche das Zimmer von Frau
Silber. Jeder Schritt tut mir weh. Was hat sich dieser Ge dabei gedacht? Das gesuchte Zimmer liegt ganz am Ende dieser ehemaligen
Fabriketage.

Nicht "Schwerte zu Pflugscharren!", sondern: "Fabrikgebaude zu
Sozialaemtern!"

Frau Silber schlug mir vor, ihr alles zu erzaehlen. Was? Wieder erzaehlen? Mein Mund ist trocken. Es geht mir schlecht. Ich bitte um ein Glas Wasser.
- Wir haben kein Glas,- sagt sie.
Eine junge Praktikantin sitzt in der Ecke und denkt gar nicht daran, ein Glas Wasser auf der Etage zu besorgen.

- Meine Invalidenrente wurde gepfaendet,- fange ich an.
- Invalidenrente darf nicht gepfaendet werden! Herr Ge muss sich
mit diesem Problem beschaeftigen! Ich kann Ihnen die Adresse der
Schuldnerberatung geben!
- Danke. Dort war ich schon.
- Und?
- Nichts.

Sie ruft Herrn Ge an. Nach dem Gespraech murmelt sie leise:
- Ich weiss, was da gespielt wird...

-4-

Jetzt will sie mich doch in die Schuldnerberatung abschieben.          
- Die Schuldnerberatung kann die Pfaendung aufheben.
- Nein, das darf sie nicht. 
- Doch! Das darf sie!

Erstaunlich, wie die Sozialarbeiter dem Irrtum unterliegen. Einerseits, ist das ein neuer Beruf in Ostdeutschland: gehe hin! Weiss nicht - wohin?! Die wissen nicht, was zu tun ist.
Andererseits, ihnen geht es nicht ums Lernen oder Effizienz, sondern darum, den langweiligen Tag irgendwie zu Ende zu bringen.

Sie selbst sind noch nicht unter die Raeder geraten. Frau Silber glaubt an die allmaechtige Schuldnerberatung.
Die Recntspflaegerin Schn. aus dem Vollstreckungsgericht glaubt nicht, dass das Urteil in Kraft treten kann, wenn der Buerger es von der Post nicht abgeholt und nicht gelesen hat. Eine andere Mitarbeiterin glaubt, dass alle Buerger 300 DM Wohngeld bekommen...(Ich bekomme nur 15 DM).

Das ist ein Ding! In jedem neuen Amt sitzen Ossis, die etwas
davon hoerten, aber wegen Mangel an Erfahrungen auch noch daran glauben! Man hat sie mit Arbeitsplaetzen versorgt, welche die Gesellschaft nicht vorwaerts bringen.

Das ist ein kapitalistischer PERPETUUM MOBILE fuer sinnlose Huehner.

- Also, wenn Sie nicht zur Schuldnerberatung gehen wollen, dann gehen Sie zurueck zu Ge.
Sie beginnt, meine Angaben aufzuschreiben, und ploetzlich merkt sie, dass ich 62 Jahre alt bin! Dadurch ergibt sich eine andere Moeglichkeit fuer mich: ich gehoere zum Seniorensozialamt in meinem Wohngebiet!- sagt sie.

(Spaeter werde ich erfahren, dass sie gelogen hat: Seniorin  wird man erst ab 65 Jahren!)

Ich ueberwinde mit starken Gelenkschmerzen den langen Korridor zurueck zum Lift und von dort aus zurueck zu Ge. Er ist schon am Telefonieren. Er will mich an Frau Wu in meinem Wohngebiet abschieben, aber sie geht nicht ans Telefon.

- Frau Wu kann Sie am Mittwoch besuchen. Rufen Sie bei ihr an.

Frau Wu kam zu mir und erzaehlte, dass sie in der DDR im Jugendgesundheitsschutz gearbeitet hat. Sie ist durch die Schulen gegangen und verabreichte den Kindern die Schluckimpfung.
 

Der Name meines Sohnes kam ihr bekannt vor. Sie war fuer seine Schule zustaendig. Ich war sehr geruehrt, von ihr zu hoeren, dass sie mein Kind in der Unterstufe kannte. Ich habe angenommen, dass wir uns gut verstehen werden, weil wir die gleiche Vergangenheit hatten.

Vertrauensvoll erzaehlte ich ihr, in welche Lage ich geraten bin. Ich zeigte ihr die juristischen Dokumente.
Sie beichtete mir, dass sie mit ihrem Sohn im Kriegszustand lebt, aber sie und ihr Mann, ebenfalls ein Invalidenrentner, keine Wohnung fuer den Sohn mieten koennen.

Sie vertraute mir ebenfalls an, dass sie sich auch scheiden lassen will. Ich habe ihr davon abgeraten. Lieber getrennt leben als sich zum Frass der Advokaten machen. Jetzt kann man schon eine freie Wohnung finden.

-Aber mit dem Sohn,- fuhr sie fort,- wird nicht mehr lange dauern. Bald wird er das Studium beenden und ausziehen. Er macht zu Hause viel Bosheiten... Ich koennte mit Ihrem Sohn sprechen, dass er seine Mutter unterstuetzen muss.

Doch sofort unterbrach sie sich:
- Ob ich das darf? Ich will meine Arbeit nicht verlieren. Ich verdiene sehr, sehr gut.

Sie verabschiedete sich von mir und sagte, dass sie morgen zum Herren Ge fahren wird, um ueber meine Sache zu sprechen. Danach wird sie am Freitag wieder zu mir kommen. Sie fragte mich nicht, ob mir das passt. Die Uhrzeit nannte sie nicht. Das bedeutete, dass ich einen ganzen Tag auf Sie warten musste.

Im Flur sagte ich ihr, dass sie meine Unterlagen geprueft hat und weiss, dass ich ohne eigene Schuld in diese Lage geraten bin.

- Ich habe nichts geprueft!- antwortete sie rasch.- Ich verstehe
nichts davon. Und bei den Scheidungen...da weiss man nicht, warum Sie dort bezahlen muessen?!

Geduldig erklaerte ich ihr die Sache noch einmal. Kein Begreifen.

Am Freitag kam sie wieder. Ich gab ihr eine Tasse Capuccino.
Sie erzaehlte, dass sie mit Frau Sue ueber mich gesprochen hat.
Frau Sue bestaetigte es ihr, dass sie mich kennt. Ich bin sehr intelligent und ordentlich. Ich kann mir selber helfen.

- Wenn Sie wenigstens einen schiefen Mund haetten! - sagte sie
ploetzlich, - dann haette man mit Ihnen Mitleid, aber so...

Sie steckte zwei Finger in den Mund und zog die Mundwinkel
auseinander: den rechten Mundwinkel zog sie hoch; den linken
Mundwinkel - herunter zum Hals.

Ich staunte nicht schlecht: vor mir stand ein lebendes Bild von Pablo Picasso! Hatte Frau Wu nicht alle Tassen im Schrank? Warum wuenschte sie mir ein solches Aussehen?! Beneidete sie mir meine
Schoenheit?!

- Ihnen kann nicht geholfen werden,- sagte sie.- Ich war beim
Herrn Ge und bei Frau Silber. Ich will meine Arbeit nicht verlieren. Ich verdiene sehr gut. Ich werde den Bericht an meine
Chefin schreiben. Vielleicht kann sie Ihnen naehstes Jahr helfen.

(Wahnsinn! Ich habe heute nichts zu essen! Wer kann schon so lange hungern?!)

Sie ging, ohne zu fragen, an mein Telefon und sagte ihrer Chefin...nein, nicht ueber mein Problem:
- In zehn Minuten komme ich!
Und zu mir: "Wissen Sie, eine Firma liefert uns warmes Essen. Ich muss mich beeilen. Tschuss!"

Sie lies sich nie wiedersehen. Sie verdiente trotzdem sehr, sehr gut.

Teil 12 http://www.proza.ru/2013/11/23/1769