Der Urknall des Universums

Ìèíñêàÿ Âåñíà
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Das Universum begann bekanntlich mit dem Urknall. Und was gab es davor? Die Wissenschaftler sind sich doch nicht einig darueber, und darum stellen sie ihre Hypothesen diesbezueglich auf. Wer kann es aber jetzt bestaetigen, wie alles angefangen hat, frage ich mich? Warum neigt der Mensch dazu, seinem Wissensstand eine Bestaetigung zu finden?


Teil I
Wir sehen das, was wir wollen…

Unser Handschlag ueber dem Tisch in einem schmalen langen Lehrerzimmer war sicherlich ein Urknall. Seitdem kann ich mich leider nicht mehr an eine einzige Beruehrung unserer Haende erinnern, wobei es viel weniger als 15 Milliarden Jahren vergangen sind, als wir uns kennen – etwas mehr als ein Jahr. Ihre Gastdozentur am Fortbildungsinstitut in der Stadt N. ist schon laengst beendet, sie ist wieder zu Hause, bei ihrer Familie angekommen und hat trotzdem eine tiefe Spur in meinem Herzen hinterlassen.

Sie bot mir den groessten Reichtum an, den sie besass – naemlich ihre Freundschaft, und damit fing alles an. Wie konnte sie auch ahnen, was ich jemals fuer sie empfinden werde. Doch unerwartet schnell kam der Tag, an dem ich mehr als nur Freundschaft empfand. Man kann sich nicht aussuchen, wen man liebt – wenn man liebt, dann liebt man. Ich liebte sie von Tag zu Tag immer mehr, weil sie mich mit ihrer Schoenheit und wundervollen Art verzaubert hat.

Wir waren schnell per Du, es machte mir unendlich viel Freude, mich in ihrer Naehe zu befinden. So ging ich freiwillig fast keinen Schritt weg von ihr. Auch wenn ich es gewagt haette, waere die Bemuehung umsonst gewesen. Ich war Hals ueber Kopf in sie verliebt, fuer immer an sie gefesselt, als sie mich „Shadow“ zum ersten Mal nannte: Komm, Schatten, wir muessen uns zum Unterricht beeilen…
Auf solche Weise war ich schnell zu ihrem Schatten getauft worden. Und es war absolut normal, sogar von unserer Lehrstuhlleitung einigermassen gern gesehen, denn ich war als ihre Assistentin fuer dieses Sommersemester eingestellt. Junge Lehrkraefte haben von der Erfahrung und vom Talent ihrer aelteren Kollegen zu lernen, und so waren wir fast unzertrennlich, zumal sie hier fremd war. Obwohl sie mitten im Fruehling angekommen war, kam ihr die Stadt ziemlich ungeheuer vor – kalt und grau. Eben deshalb wollte sie einmal bei einem Einkaufsbummel einen knallroten Lippenstift kaufen – der Wunsch, etwas Farbe zu bekennen war gar nicht falsch von mir interpretiert. Ich hatte in dem Moment weiche Knie bekommen, als ich mir nur vorgestellt habe, wie sie mit dem roten Lippenstift ihre sch;ne Linie der Versuchung und Verf;hrung nachzieht… Seitdem hast sie mich voellig verzaubert. Ich hatte bloss Angst, etwas falsch zu machen. Denn sie war so nah und so unerreichbar, und unsere Symbiose praegte schon auf einmal mein ganzes Wesen, seitdem wir am zweiten Tag unserer Bekanntschaft beim Abendessen im Restaurant „Der Siebte Himmel“ absolut zuf;llig aber sehr bedeutungsvoll in die Augen geschaut haben. Mein einziger Wunsch war, ihre Gedanken zu entraetseln, aber die grau-gruenen Augen verrieten kein einziges Geheimnis. Ueber persoenliche Dinge haben wir am Anfang ziemlich wenig gesprochen, aber es hat sich dann doch irgendwann in den Gespraechen herausgestellt, dass sie einen Partner hatte und einen Sohn, auf den sie besonders stolz war. Ich freute mich auf die Zeit von einigen Monaten, die sie an unserem Institut lehren sollte.

Einmal hatte ich einen Traum – von Donnerstag auf Freitag besagen Traeume die Wahrheit, wenn man sie richtig deutet: Wir sassen nebeneinander auf der Couch in einem neuen Haus, das Haus war voll von netten kleinen Yorkshire-Terriers, die hin und her liefen; und ploetzlich hat sie zu mir gesagt, dass sie in mich verliebt ist. Ich antwortete ihr, dass ich sie auch zu lieben glaube…

So war es in meinen Traum. Wie konnte ich nun diesen Traum falsch deuten? Ich lebte in der Hoffnung, ein besonderes Zeichen von ihr zu empfangen. Einige Zeichen interpretierte ich auf meine eigene Weise, dann war ich mir gar nicht so sicher, ob es stimmt, was ich sah. Aber vielleicht war ich damals einfach blind, denn sie hat sicherlich tausende aber tausende Moeglichkeiten geboten, dass ich mich endlich mal traue, etwas zu machen. So liefen wir in einem Teufelskreis fast das ganze Semester lang. Ich hoffte, die richtige Zeit kommt.

Mitte Sommer naeherte das Semester seinem Ende zu. Die letzten Pruefungen wurden abgehalten, die Abschlussnoten wurden verteilt, und die Lehrstuhlleitung plante das Abschiedsfest. Alle Lehrkraefte hatten eine besondere Aufgabe erteilt bekommen, das grosse Fest vorzubereiten. Ich wusste, dass sie grundsaetzlich gegen Veranstaltungen solcher Art war, aber ich konnte es gar nicht ahnen, was sie in dieser Situation machen wuerde. Und ihre Reaktion hatte alle moeglichen Erwartungen uebertroffen. Eigentlich war das Fest zu ihren Ehren gedacht. Stattdessen beschloss sie kurzfristig, von der Veranstaltung zu fliehen, packte noch ein paar vertraute Dozentinnen des Lehrstuhls, und wir landeten bei ihr im Hotelzimmer, wo es dann in einer privaten und gemuetlichen Atmosphaere weiter gefeiert wurde. Alle Damen waren in einem leicht angeheiterten Zustand, als sich unerbittlich die Mitternacht naeherte. Und die Gaeste verliessen nach einem laengeren Abschied doch das Hotelzimmer – morgen Mittag hatte sie ihren Flug und musste noch davor packen und einige Einkaeufe erledigen – uebliche Souvenirs fuer Familie und Freunde.

Da ich noch mit einer Kollegin im Gespraech war, beschlossen wir unten in der Lounge noch eine zu rauchen und ein Abschiedscocktail zu trinken. Mitten auf dem Flur fiel es mir ein, dass mein Feuerzeug in ihrem Zimmer liegen blieb, und ich drehte mich schnell um, warf meiner Kollegin noch zu, sie moechte noch unten auf mich kurz warten, und ging zurueck zum Zimmer. Mein Herz flatterte in der Brust, ich klopfte kaum hoerbar an der Tuer. Sie oeffnete sehr schnell, als ob sie vor der Tuer darauf gewartet hatte. Es war fuer sie scheinbar keine Ueberraschung in dem Moment, aber sie schaute mich trotzdem mit Erstaunen an, und ich wurde sofort verlegen. Mir blieben alle Worte aus. Ich versank in der Tiefe ihrer Augen, die auf mich mit einem fordernden Blick gerichtet waren. Die Situation war ziemlich banal, nur fehlte der Satz, ob ich etwas vergessen haette. Ich glaubte fast, dass ich sie diese Frage stellen hoerte, obwohl sie kein einziges Wort herausbrachte. So musterten wir einander einige Sekunden lang, die mir damals als Stunden vorkamen.
"Ich wollte Dir nur eine gute Nacht wuenschen und Bescheid sagen, dass ich Dich so gegen elf Uhr abholen komme." – meine Worte waren schneller, als Gedanken, ich stand als bloeder Feigling da, vor der einzigen, meiner letzten Gelegenheit, mich ihr anzunaehern, aber ich habe mich wieder nicht getraut.
"Ok, ich warte dann auf dich! – bemerkte sie kurz resigniert. – Gute Nacht! Pass auf dich bitte auf dem Heimweg gut auf!" Die Tuer fiel lautlos ins Schloss und damit zerbrach meine letzte Hoffnung.

Ich musste meine Liebe zu ihr irgendwie loswerden. Deshalb zoegerte ich auch nicht lange, und ging auf das ausdrueckliche Angebot meiner Kollegin ein, mit der wir einige Drinks zu viel in der Lounge des Hotels getrunken hatten. Wir fuhren dann zu ihr, und ich blieb bei ihr ueber die Nacht.

Am naechsten Morgen musste unsere Gastdozentin die Stadt verlassen. Umso besser: Aus den Augen – aus dem Sinn! Ich holte sie wie abgesprochen vom Hotel ab. Das bisher sonnige Wetter schlug drastisch um – es war fast ein Sturm mitten im Sommer, es regnete in Stroemen. Ich hatte Angst, dass es kein Flugwetter sein konnte.  Mir war nicht wohl zumute. Ich bedauerte sehr, was ich diese Nacht getan hatte. Aber es gab kein Zurueck, denn wir sind verantwortlich fuer alles, was wir tun… Oder auch nicht tun…

Unser Abschied war irgendwie komisch. Als wir zum Flughafen fuhren, begann ploetzlich die Sonne zu scheinen. Graue Wolken verschwanden vom Himmel, aber der Regen davor konnte trotzdem nicht die Spuren meiner Untreue abwischen.
"Ich muss Dir einiges gestehen, – fing sie an nach einem laengeren Schweigen. – Deine Stadt hat doch einiges zu bieten."
"Ja, es kommt oefters vor, wenn man einen Ort verlaesst, wo man eine laengere Zeit verbracht hat und einiges dort erlebt hat. Man hat ein doppeltes Gefuehl: Einerseits freut man sich auf das Zuhause, andererseits ist man doch traurig, etwas Vertrautes zu verlassen," – versuchte ich das Gespraech fortzusetzen.
""Eindeutig" waere es mir lieber, – meinte sie entschlossen. – Und ja, du musst es wissen – es gibt kein "andererseits", so denke ich mindestens seit einer gewissen Zeit."

Ich brachte fast in Traenen aus, musste mich aber sofort beherrschen und so fuhren wir still noch einige Minuten, bis der Shuttle vor dem Flughafengebaeude stehen blieb. Ich nahm ihren Koffer und wir stiegen hinaus. Vor der automatischen Schiebetuer stolperte ich ploetzlich auf meinem hohen Absatz und verlor fast das Gleichgewicht. Rasch griff sie mir unter dem Arm, so dass ich wieder schnell zu meinem Gleichgewicht zurueckfand.

"Du sollst ja nicht meinen schweren Koffer schleppen, gib ihn bitte her, - verlangte sie mit ihrer strengen Lehrerstimme. – Das schaffe ich schon selbst. Du hast ja schon viel fuer mich in dieser Zeit getan. – fuegte sie noch hinzu. - Erst die Schoenheit, dann das Alter!" – laechelte sie mich an und liess mir den Vortritt, als die Schiebetuer aufging.
 
Das Einchecken wurde angekuendigt, und wir verabschiedeten uns voneinander mit einer sekundenschnellen Umarmung. Ich stand danach noch lange draussen, wo ihr Flugzeug aus der Weite zu sehen war, und oeffnete meinen grossen roten Regenschirm, obwohl es nicht regnete.

Meine Liebe wurde ploetzlich arbeitslos.

Noch vor der Sommerpause habe ich gekuendigt, und suchte dann einen neuen Job. Mit diesem Zweck bewarb ich mich bei einigen Unis, die ab Wintersemester Assistentenplaetze angeboten hatten.

Meine Verliebtheit wurde aber mit der Zeit nicht schwaecher. Ich schrieb ihr ab und zu nette Briefe, berichtete ueber ganz banale Dinge, als ob es sie interessieren wuerde, wichtig fuer mich war damals, dass unser Kontakt nicht abbricht.

Eines Tages kam eine Mail von ihr. Sie lud mich zu ihrem Geburtstag ein. Es sollte in wenigen Wochen stattfinden, und sie wuenschte, dass ich auch dabei waere.

Es war ein phantastisches Gefuehl, ihr Gast zu sein. Sie sorgte fuer jede Kleinigkeit und umhuellte alle Anwesenden mit einer Wolke ihrer Gutherzigkeit. Jedes Mal schaue ich sie bewundernd an und verstand, dass ich dieser Frau nicht wert war. Die Geburtstagsfeier war ausgesprochen schoen, mein Gemuetszustand dafuer sehr unbehaglich. Ich lernte dabei ihren Freund kennen; es hat sich herausgestellt, dass sie gar nicht verheiratet waren. Angeblich hatte er ihr zu seinen Zeiten einen Heiratsantrag gemacht, aber es hatte ihr dabei an etwas gefehlt und sie wies es zurueck, wobei sie doch zusammen geblieben waren. Der Freund nahm meine Anwesenheit in ihrem Haus zur Kenntnis und mischte sich in die Angelegenheiten der Frauenfreundschaft nicht ein.
Mein Herz brannte vor Liebe zu ihr, aber ihre buergerliche Ehe wollte ich keinesfalls brechen. Wir verbrachten zwei wunderbare Tage zusammen ohne dass wir je das Thema der Gefuehlswelt anruehrten.

Sie brachte mich zum Flughafen. Ich verabschiedete mich, lief zum schalter, aber ich versaeumte meinen Flieger und musste nun alleine zum Bahnhof fahren. In meinem Zug, der mich fast zwanzig Stunden lang nach Hause brachte, sass ich sehr traurig, denn ich wusste, dass ich mir das Leben ohne diese Frau nicht mehr vorstellen konnte, aber mit ihr war das Leben ebenso unvorstellbar. Auf dem Flachbildschirm neben meinem Sitz leuchteten die Ortsnamen der naechsten Haltestellen, und ploetzlich kam ein Spruch von Seneca, den ich durch meine dicken Traenen trotzdem lesen konnte: "Nicht weil es unmoeglich ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen, wird es unmoeglich."

Ich war hin- und hergerissen und zweifelte maechtig am Sinn meines Lebens. Ausserdem bekam ich eine nach der anderen nur Absagen von den Unis. Mehr als enttaeuscht konnte ich mir keinen Platz ueberhaupt finden, das Leben zerfiel in zwei Teile: Das eine war mein Leben vor ihr, und das andere – das Leben ohne sie.

Fast in einem Blackout-Zustand schrieb ich ihr dann einen Brief, in dem ich ihr meine Gefuehle offenbarte. Das war meine erste offene Liebeserklaerung an sie, frueher gab es nur versteckte Anspielungen, die sie sicherlich als einen Witz betrachtete, aber jetzt war das alles mein voller Ernst. Natuerlich konnte ich nie mit ihrer Antwort rechnen, aber ich wagte mich trotzdem, den Brief abzuschicken und trug ihn zur Post mit einem schweren Herzen. Es war fast wie erklimmen von Golgatha – jeder Schritt tat mit weh, weil der Kreuz meiner Gefuehle enorm schwer zu sein schein. Es konnte fuer mich entweder den Tod bedeuten, oder dann ein neues Leben, ein freies Leben ohne jegliche Geheimnisse, die ich staendig als schwere Last mit mir herumschleppte. Los! Ich wollte fast alles dafuer geben, um bloss zu wissen, was sie fuer mich empfand.

Einige Wochen vergingen ohne Antwort, ich war unruhig, lief wie ein eingekerkerter Baer  hin und her in meinem Zimmer, dann aber fuehlte ich ploetzlich einen befreienden Schmerz: Sie wird sich nie mehr wieder zurueckmelden. Schreiben gehoert nicht zu ihren Lieblingsaufgaben, und somit musste ich aufgeben, auf ihre Reaktion zu warten. Es war ein Missverstaendnis meinerseits, wie ich ihr Verhalten sonst interpretiert hatte. Und ich haette nie diesen letzten Brief an sie abschicken sollen. Bei aller besten Hoffnung auf ihre Zuwendung durfte ich doch ihren Mann nicht von der Liste streichen, den gibt es und hat es immer gegeben, und wer war ich? Eine verunsicherte junge Lehrkraft, die mehrere Sprachen zwar perfekt beherrscht, aber beim Ausdruecken eigener Gefuehle ein vollstaendiger Laie ist. So wie die paedagogische Bibel spricht: "Du sollst dich nicht in Schueler und ihre Eltern verlieben, sowie eigene Kollegen!"  Habe ich das nicht gewusst?

Und dann verfasste ich einen neuen Brief an sie. Inhaltlich sollte es jetzt endgueltig der letzte sein.


Teil II
Wir wollen das, was wir sehen …

"Meine liebe junge Freundin! Wie viele Briefe hast du geschrieben! Mein Mann brachte mir die Post ins Arbeitszimmer, warf sie auf den Tisch und laechelte immer daemonisch zu: "Von ihr…!" Es waren schoene lustige Geschichten, die du bestimmt extra fuer mich ausgedacht hattest, ich wusste es und genoss es als mein groesstes Geheimnis.

Aber der Brief mit deiner Liebeserklaerung hat alles in meinem schon lange gut gemeisterten und perfekt gesteuerten Leben auf den Kopf gestellt. Was konnte ich dir darauf antworten? Ich war verwirrt und habe mich damals nicht zurueck gemeldet.

Meine kleine grosse Liebe, mir ging es genauso die ganze Zeit, seitdem wir uns kennen gelernt hatten. Ich konnte meinen Blick von dir nicht loslassen, wenn du im Raum standest. An den trueben und regnerischen Abenden dieses eisigen Sommers in deiner Stadt erwaermte mich deine Naehe, wenn wir beim Essen nebeneinander sassen. Wenn du mir gegenueber sassest, tauchte ich in die blaue Tiefe deiner Augen und versank in einem phantastischen Gefuehl, wenn du mich angeschaut hattest. Ich konnte deine Liebe immer spueren, meine junge Begleiterin, mein Schatten.

Wir waren fast immer zusammen, oft auch allein unter uns: In deinem kleinen Buero, zum Beispiel, wuenschte ich es mir, du wuerdest mich umarmen, so wie ich mich danach sehne, und du schenkst mir einen unvergesslichen Kuss – so sanft, wie mich noch niemand gekuesst haette. Dann wuerden wir mit dem Taxi im Regen durch die ganze Stadt fahren und uns wie verrueckt kuessen, bis wir in meinem Hotel ankommen wuerden. Dann wuerdest du bei mir ueber die Nacht bleiben, und wir erleben zusammen die schoenste Nacht der zaertlichen Beruehrungen und Liebkosungen, so zart wie die Blumen auf meinem Arbeitstisch, die du mir so oft geschenkt hattest. Schoene Wuensche, meine suessen Traeume, meine Sehnsucht nach dir, Dewuschka… Wir wollen das, was wir sehen. Und ich wollte nur dich... Ich wuenschte mir staendig deine Naehe, und du warst zwar so nah, aber auch so fern und unnahbar – klar, die ganze Zeit war ich dein Job – deine Chefin, fuer die du als Assistentin engagiert warst. Stimmt, es sollte nicht zu einer Affaere "mit Assistenz" werden, ich war viel zu verliebt in dich, und so war es fuer mich die groesste Freude, als du es versprochen hattest, zu meinem Geburtstag zu mir zu kommen.

Ende Sommer kamst du ueber die Schwelle meines Hauses, und mein groesster Wunsch war es, dass du nie mehr weg gehst und hier bei mir bleiben wuerdest. "Fuer immer" waere zu kurz fuer meine Verhaeltnisse, besser "fuer ewig"! Sogar meine Katze Flora, die niemand auf dieser Welt ausser mir anerkennt, sass bei dir auf den Haenden und auf dem Schoss – na klar, denn du bist Ich, mein zweites Ich, nur 22 Jahre juenger…"

Das waren meine Zeilen, die ich vor einigen Tagen geschrieben aber noch nicht zur Post gebracht hatte. Nun lag ein Brief von ihr auf dem Tisch. Ich musterte ihn lange und hatte eine leise Vermutung – da wuerde was auf mich zukommen. Meine Finger hoerten beim Briefoeffnen auf mich nicht zu und zitterten zu stark, so dass das Briefmesser laut auf den Boden fiel. Ich zuckte zusammen, als ob das Messer mein Herz durchstochen haette. Mich eroberte ein unangenehmes Gefuehl, dass ich schon ungefaehr weiss, was in diesem Brief steht... Also, ich kehrte aus meinen Erinnerungen und dem nicht abgeschickten Brief an meine Liebe wieder zurueck zum Arbeitstisch und machte endlich mal ihren Brief auf - aus dem Umschlag zog ich ein Blatt Papier heraus…


"Ein lieber Gruss von … aus …" – stand in der Kopfzeile.
Mir fiel sofort auf, dass die uebliche Anrede wie "Meine Liebe …", egal, ob klein- oder grossgeschrieben,  ueberhaupt fehlte. Etwas stimmte nicht… Mit dem Brief, mit ihr, mit mir wahrscheinlich auch. Ich hoerte, wie mein Mann den Rasenmaeher auf der Wiese vor dem Haus einschaltete. Mir stockte der Atem, als ich die naechsten Zeilen ueberflog…

"Jetzt kriecht der junge Herbst in mein Herz hinein und umhuellt es mit seiner goldenen Traurigkeit. Wenn die Sonne nicht mehr da ist, dann verschwindet auch der Schatten. Tatsaechlich hast du in einer kurzen Zeit meine Gedanken erobert: Der erste und der naechste sowie der letzte Gedanke des Tages gehoeren nur dir, es war wie eine Droge, und ich war abhaengig davon. War? Du wunderst dich... Ja, ich schreibe in der Vergangenheitsform ueber dieses schoene Gefuehl, das mein Leben eindeutig bereichert hat, aber auch viel Schmerz mitgebracht hat. Ich musste es verstehen, ja sofort oder schlussendlich nachdem ich dich besucht hatte, doch verinnerlichen, dass du verheiratet bist und einen Sohn hast, dass Du viel aelter bist als ich, und auch so gluecklich in deinem perfekten Leben... Wer bin ich denn f;r dich?
Sorry.
Ich musste meine Liebe zu dir auf irgendeine Weise loswerden, und deshalb war ich mit einer anderen Frau. Es ist in der letzten Nacht deiner Gastdozentur passiert".

Ich wurde wie gefesselt und ohnmaechtig fast zeitgleich. Die Buchstaben fingen an vor meinen Augen zu tanzen. Aber meine Finger griffen empoert nach einem Schreibblock.

"Hallo! Ich glaube, ich bin in einem falschen Film. Und das soll deine Wahrheit sein? Wie konntest du es nur machen, mein liebes Maedchen? Die biblischen Saetze ““Du sollst nicht stehlen! Du sollst nicht toeten!““ sind dir bestimmt fremd, Kleines… Nicht ich, sondern du hast mein Herz gestohlen und mich in meinen Gefuehlen zu dir jetzt sehr stark verletzt, ja fast get;tet mit diesem bloeden Brief. Ich war bereit, mit dir ueber unsere Gefuehle zu sprechen, wenn wir uns demnaechst wieder sehen sollten. Den Termin fuer dein Praktikum bei uns an der Uni habe ich diese Woche arrangiert. Und jetzt? Was machen wir nun, frage ich mich..."

Ob es ein "wir" ja ueberhaupt moeglich gewesen waere...

Am diesem Abend sollte ich und mein Mann zusammen mit unseren Freunden traditionsgemaess zu unserem Stammtisch gehen. Schweren Herzens machte ich mich huebsch und folgte stumm der froehlichen Gesellschaft. Beim Essen sass ich steif und konnte nichts zu mir nehmen. Mein Mann machte sich Sorgen, weil er vermutete, dass ich wegen der neulich geschroteten Oelwanne am Auto immer noch sehr traurig bin. "Du, Liebes, magst was essen?" – hoerte ich aus der Ferne seine Stimme, wollte aber aus meinen Gedanken nicht zurueck. – Oh, Mann, wie dumm bist du ja manchmal, und eben dafuer liebte ich dich diese langen Jahren. Und was passiert mit mir jetzt?

Von Anfang an musste ich doch durchschauen, dass dieses kluge und zarte Maedchen fuer mich eine Hoelle bedeuten wird. Und trotzdem wuerde ich immer noch ganz gern in diese Hoelle hinabsteigen.

Nun musste ich doch was beim Kellner bestellen… Natuerlich Chablis - meinen Lieblingswein, den wir einst mit dir zusammen getrunken hatten!

Und dann trank ich noch einen… Und noch einen… Und…
Mein Mann brachte mich fast bewusstlos nach Hause. Unser neues Haus – ich war ziemlich betrunken vom guten Wein, dass ich es kaum erkannt habe, weil wir erst seit einer Woche umgezogen sind. Ich richtete mit so viel Liebe das neue Gaestezimmer ein: fuer dich, meine Kleine. Mein Mann schaute nur spoettisch zu, schliesslich gab er mir immer genug Freiheiten. Verliebtheit in eine junge Frau, und das in meinem Alter – so was konnte er nie verstehen. Aber toleriert hat er es, auch ohne zu verstehen.

Am Morgen hatte ich kein Kopfweh… Nein, der Wein war viel zu gut, aber viel zu viel, natuerlich, und ich bin nicht mehr die Juengste.

Und ich setzte mich mit einer Tasse Kaffee an meinen Schreibtisch. Den Brief und die Seite von gestern schob ich zur Seite und sie fielen leise vom Tisch auf den Boden.

"Alles, was du mir geschrieben hast, kann ich gut verstehen, und deshalb kann ich auch meinen Schmerz verkraften, den du mir, ja noch mehr uns beiden, hinzugefuegt hast. Das sehe ich aber nicht als eine Rache. Im Gegenteil. Du bist noch viel zu jung, um alles richtig zu machen, und besser ist sicherlich eine Enttaeuschung von der Liebe als gar keine Liebe. Wir koennen uns noch retten, mein Kind!

Wir… uns… - es klingt viel zu gut, um wahr zu sein. Du wirst mir nie gehoeren, und ich weiss das. Moeglicherweise strebe ich auch gar nicht danach. Alles, was ich will: Bleibe bitte meine Freundin. Um Himmels willen!

Deine Liebe zu mir blieb jedoch nicht unbemerkt, ja auch fuer die Anderen nicht, zum Beispiel fuer eure Chefin am Lehrstuhl, die dann doch eifersuechtig auf dich war, denn du hast ihr auch sehr gut gefallen, und nicht nur deine hervorragenden Arbeitsbegabungen. Ja, ich habe alles gewusst und noch mehr gespuert, und es ist ja ein grosses Glueck in meinem Leben, dir begegnet zu sein und dieses phantastische Gefuehl zu erleben, wie ich es empfand in deiner Naehe. Aber ich habe deine Gefuehle leider nicht offensichtlich erwidert und dich damit stark verletzt. Seitdem mache ich mir grosse Vorwuerfe und bin tief beschaemt.  Ich entschuldige mich bei dir. Mach was du willst: Du kannst mich kreuzigen, Kopf abhacken, Hals umdrehen...! Aber kehre bitte zurueck, zu mir… Irgendwann… Bitte…"

So endete der Brief, der dann umgehend abgeschickt wurde.