Rueckblick nach 25 Jahren in Deutschland

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Ich wusste zuerst nicht in welcher Sprache ich das schreiben soll. Ist es ein allgemeines Thema oder ein russisches, oder nur ein russlanddeutsches?
Es geht um Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion. Und da bietet sich die Frage aus dem bekannten Werbeslogan an: Sind wir schon da oder wandern wir noch? Das ist die Gretchenfrage zur Identitàåt des „Volkes auf dem Weg“.

Wir kamen in den 80-90er Jahren nach Deutschland. Flohen vom sinkenden Schiff, das unsere Hoffnungen und Erwartungen voll im Stich gelassen hat. Das aber selber die Farben wechselte und uns endlich die Freiheit gab, zu entscheiden, wo wir leben wollen.
 
Es war eine enge Gasse der Freiheit, und wir, die jetzt eine Chance fuer ein besseres Leben geboten bekamen, nutzten sie natuerlich. Die Voraussetzung dafuer war unsere Volkszugehoerigkeit, die wir als Joch und Stigma zu tragen gelernt hatten. Die in jedem  noch so belanglosen Formular stand und unterstrich: Wir waren die Deutsche. „Nazmeny“- so die chauvinistische russische Bezeichnung fuer alle Minderheiten.
Und dieser Nachteil, diese Behinderung erwies sich auf einmal als ein Vorteil, als ein Tor zur Welt, auch wenn es nur nach Deutschland und fuer Juden meist nur nach Israel gehen konnte.  Doch Deutschland war schon die Welt, von hier aus konnte man ueberall hin.

Meine Generation wuchs in der Breschnew-Aera auf. Es war die Zeit der Grossen Stagnation. Wir glaubten, unseren Lebensweg bis zum Grabe vorhersehen zu  koennen, so festgefahren war alles. Aber stattdessen kamen auf einmal die grossen Umwandlungen des Wechsels. Ploetzlich waren wir wie Sandkoerner in einem Sturm gefangen, dem Sturm, den wir nicht einmal in unseren kuehnsten Traeumen voraussehen konnten. Dieser Sturm brachte uns nach Deutschland, in das hochgelobte Land, dass obendrein noch von unseren eigenen Wunschfantasien ausgeschmueckt war.

Wir waren da, die meisten ohne oder mit sehr wenig Geld,  nur mit den Koffern – 20 kg pro Person. Und dass hat auch nicht jeder genutzt, wegen den Kleinkindern waere es nicht moeglich gewesen. Fuer die sonst so bestaendigen Russlanddeutschen war das das groesste Abenteuer des Lebens.

Es war der Neuanfang und wir bekamen viele neue Namen: Aussiedler, Vertriebene, Spaetaussiedler, Russlanddeutsche, Deutschrussen, Neue Buerger, Menschen mit Migrationshintergrund, Migranten, einfach Russen…
Es gab auf einmal einen Wandel: diesmal vom Deutschen zur Russen. Ein neues Stigma ist geboren. Von einem Rand der Gesellschaft zum n;chsten - einer anderer Gesellschaft.

Aber es gab auch Hoffnung aus dieser Situation sich irgendwann befreien zu koennen. Weil die Namen und der Nationalitaetseintrag passten und der Akzent irgendwann mal weg ist und als Geburtsort ein deutscher Ort stehen wird… Also fuer Kinder, die hier geboren und aufwachsen werden. So meinten es die Aussiedler der ersten Stunde „wir machen das fuer die Kinder“. Eine Generation als Ballast fuer die naechste „richtige“ Generation der Nachkommen?!

Wie auch immer, wir wollten Deutsche werden, unsere Sehnsuechte und Wuensche, die wir fuer das neue Leben gehegt haben, erfuellt bekommen und ein besseres Leben fuer die Kinder sichern. Einfach ankommen und da bleiben als Buerger Deutschlands.
 
Zuerst wurden wir von der deutschen Buerokratie freundlich im Empfang genommen. Der deutsche Verwaltungsapparat funktionierte perfekt. Analog mit der Figur von Charlie Chaplin in einem Maschinengetriebe, wurden wir in buerokratische Mangel genommen, gepresst und geformt, um das moeglichst kompatible Produkt fuer das Land, rauszubringen.

Man muss auch gerecht sein: Deutschland hat auch nicht das bekommen, was sie erwartet hat. Wir waren die Nachkommen von Deutschen, die vor mehr als 250 Jahren aus den deutschen Laendern ausgewandert sind. Deutschland als Staat mit einer Sprache gaebe es ja noch nicht mal. Die Mundarten, Dialekten, die wir sprachen, genauer ein kleinerer Teil von uns sprach, stammten aus einer alten Zeit. Und selbst diese antike Sprache war kraeftig mit Russisch vermischt. Und das beherrschten nur Aussiedler, die aus laendlichen Gegenden mit ueberwiegend deutscher Bevoelkerung kamen. Obwohl auch in diesen Regionen seit 1938 keine deutschen Schulen mehr gab und im Sommer 1941 die Wolgadeutschen- Republik innerhalb von paar Tagen plattgemacht wurde. Die Wolga-Deutschen wurden unter unmenschlichen Bedingungen nach Sibirien und Kasachstan deportiert. Wenn sie in den Gegenden mit ueberwiegend russischer Bevoelkerung ankamen, verloren schon ihre Kinder die Sprache. So war es auch mit den Deportierten aus der Ukraine.

Dank der Unterstuetzung seitens der Bundesrepublik entspannt sich die Situation in den spaeten 50er Jahren.

In den deutschen Siedlung, die es in Sibirien und Nordkasachstan seit dem Transsib-Bau, Anfang des 20 Jahrhunderts, dank der Stolypin-Reform gab, auch im Gebiet Orenburg (Ural) wurde Deutsch als Muttersprache ab der 2. Klasse der Grundschule unterrichtet. Es gab ein paar ueberregionale deutsche Zeitungen und sogar ein deutsches Theater.
Aber die echte Quelle des Deutschtums waren die kleinen Doerfer, wo ueberall noch Deutsch gesprochen, gebeten, gegruesst und gesungen wurde. Wo die deutsche Traditionen auch beim Arbeiten, sowie beim Feiern, ganz selbstverstaendlich waren.

So der historischer Exkurs, der die Frage mit der Sprache erklaert.

Nur interessierten sich die „normalen“ Buerger nicht fuer die Geschichte der Russlanddeutschen. Und wir selber mussten einsehen, dass wir nur in der Sowjetunion deutsch waren, fuer das modernes Deutschland – nicht.

Was nun?! Eigentlich, seit der Zerfall der SU geht es uns am besten: wie koennen und duerfen so leben wir moechten: entweder in Russland oder in Deutschland. Es ist uns ueberlassen, genauso wie die Schattenseiten jeder Entscheidung. Das heisst Freiheit. Und die ist wichtiger als die Frage der Identitaet, die sich, hoffentlich, unsere Kinder und ganz sicher unsere Enkelkinder nicht mehr stellen werden muessen. Oder?