Im Dorf bei Grossvater und Grossmutter

Алекс Росс
Das Meer, das immer in Bewegung ist,  der gelbe Sandstrand, der boige Wind, die Rufe der oft unruhigen Moewen und das kleine Dorf machten Sascha gluecklich. Jeden Morgen, wenn er aufwachte und die Augen offnete, sah er auf der niedrigen, gehobelten Decke des hundert Jahre alten Holzhauses des Grossvaters merchenhafte Bilder: gebirgige Landschaften, stille Meeresbuchten und die gigantische Wellen einer sturmischen See, Wald am Horizont einer weiten Ebene und die stets gluhende Sonne im Zenit - ein grosser runder Ast.

Aufstehen wollte er fast nie. Es war so wohlig, auf der prall mit duftendem frischem Heu gefullten Matratze zu liegen und die hausliche Ruhe zu geniessen, der sich verschlafen rekelnden Stille - gestutzt vom dicken Balken des hellen Sonnenlichts vom Fenster - zu lauschen. Der Flug der Stubenfliege, die mit dem Brummen eines schweren Bombers langsam das bekannte Territorium umkreist, scheint wie der unglaubliche Kampfflug von Mickey Mouse in einem bekannten Zeichentrickfilm von Walt Disney. Der Ofen verbreitete den appetitlichen Duft von Haferbrei und Heidelbeerkuchen. Die Grossmutter hantierte mit geschickten Handgriffen, holte das Backblech heraus, klapperte mit den Tupfen, als wurde sie auf einem Xylophon spielen.

Die Zeit, seitdem ihn der Vater fur die Ferien hierher gebracht hatte, ist wie im Flug vergangen, dachte Sascha, als er aufstand und weiche Filzstiefel mit kurzem Schaft uberzog. "Und was man in so kurzer Zeit mit den eigenen Handen so alles machen konnte", wunderte er sich. Hatte doch der Grossvater den obersten Holzstamm am Dach ausgewechselt und den baufullig gewordenen Hauseingang erneuert. Nun kann man so leicht die weissen, frischen Stufen zum sich schlaengelnden Weg hinunterhupfen, der zum grossen Maulbeerbaum im Vorgarten fuhrt. Hier klettert Sascha wie ein Akrobat ganz ohne Furcht geschickt an den starken Aesten des  Baumes hinauf und stellt sich vor, wie stark und mutig er ist. Wenn das die Mutter sehen wuerde! Obwohl das im Dorf alle so machen. Auch die Erwachsenen klettern hoch hinauf, um von den reifen, sussen Beeren zu naschen. Die Vogel, die auf dem Baum sitzen, sind schon an Sascha gewohnt, und zwitschern laut weiter, ohne ihn zu beachten. Sascha klettert wieder hinunter, wo er in der angenehmen Kuhle auf der Schaukel sitzt und die Huhner, die staendig auf der Suche nach Wurmern sind, und den stolz zwischen ihnen einherschreitenden Hahn beobachtet.

Der Grossvater kommt bereits von Erledigungen nach Hause. Der rote Kater Vassili, der ihn fur gewohnlich beim Eingang erwartet, streckt ihm die Pfote zur Begrussung entgegen. Als er aber dafur keine Belohnung erhalt, verkriecht er sich. Die Grossmutter ruft die Maenner zum Fruhstuck. Der Grossvater hat es nicht eilig, er raucht seine gebogene Pfeife, und bedauert, dass wegen der Reparaturen am Haus zum Fischen keine Zeit bleibt. Die Grossmutter beruhigt ihn. Gott sei Dank, gibt es ja genug zu essen, und jetzt wachsen ja auch noch die Pilze. Erst vor kurzem hat sie unter der Fichte vorm Haus einen ganzen Korb mit Steinpilzen zum Braten gesammelt.

Plotzlich erschien der Kater wieder, einen Singvogel im Maul. Der Flugel am Boden streifend, das Kopfchen nach hinten gebogen. Der Kater legte den Vogel vor den Leuten hin und begann mit zugekniffenen Augen die weichen Knochen zu zerbeissen. "So ein Rauber!" schimpfte die Grossmutter mit einem beunruhigten Blick auf Sascha. "Du Seelentoter! Reichen dir denn die Mause nicht? Ein Vogelchen hast du umgebracht!" "Er hat die Beute heimgebracht, um sie den Hausleuten zu zeigen, wie ein Jager", sagte der Grossvater. "Das d a-a-rf nicht sein!" stampfte Sascha mit dem Fu; auf und begann so bitterlich zu weinen, da; er lange nicht beruhigt werden konnte. Dann wollte er nicht einmal seinen geliebten Haferbrei mit der goldbraunen Milchhaut oder den s;;en Heidelbeerkuchen essen. Der Schmerz war nicht zu stillen, so sehr tat ihm das Vogelchen leid. Nach dem Mittagessen war er verschwunden, mit ihm die Angel. "Er ist fischen gegangen", dachten die Grosseltern. Nach Hause kam er spaet, nass bis auf die Haut und ganz verfroren. Er warf dem Kater in der Ecke zwei Fische vors Maul und sagte "Iss, du Seelentoter", und legte sich schlafen.

In der Nacht bekam er hohes Fieber. Der Doktor kam, gab ihm eine Spritze und verschrieb ihm Medizin. Einige Tage gab die Grossmutter Sascha Tee mit Honig und abgekochte Milch zu trinken und machte ihm Umschlaege. Das Fieber ging zwar zuruck, aber der Glanz in den Augen des ansonsten so neugierien Jungen wollte nicht zuruckkehren. Und sogar der Kater, der sich schuldig fuhlte und dankbar war fur die Fische legte sich an seine Seite, ringelte sich zu einem Knaeuel, schnurrte und waermte ihn. Aber auch das half nichts. Die Ferien gingen zu Ende.

Der Grossvater heizte den Ofen ein. Er tut das gerne, und sitzt dabei auf einem kleinen Schemel. Er schaut ins Feuer und wirft ab und zu harzige Fichtenscheite hinein. Sie flammen schnell auf und erleuchten das ganze Zimmer. Es zischt, knackt und knistert. Plotzlich horte der Grossvater ein Zirpen, wie das eines Vogels. Er nahm sein scharfes Messer, spaltete ein gerades Holzscheit in zwei Haelften und begann aus einer Haelfte die Form eines Vogelchens zu schnitzen. Vor Saschas Augen entstanden erst eine stolze Brust und dann ein Kopfchen mit einem spitzen Schnabel. Das Schwaenzchen war erst dick und unformig, aber der Grossvater spaltete es geschickt in viele Teile, die er dann wie einen Faecher oeffnete. Aus dem anderen Teil des Holzscheits schnitzte er eine Art dicken Propeller, spaltete ihn auf beiden Seiten wie zuvor das Schwanzchen in viele Teile und breitete sie wie Faecher aus - so entstanden die Flugel des Vogels.
Anfangs spiegelte sich in den Augen Saschas nur das Feuer im Ofen, aber in einem Moment hat das Wunder uber die Trauer die Oberhand gewonnen, und die Augen begannen wieder im eigenen Glanz zu strahlen. Der Grossvater setzte die Flugel ein, befestigte am Kopfchen einen Kranz und haengte den Vogel uber dem Tisch auf. Die Grossmutter stellte den summenden Samowar auf den Tisch, und der Vogel begann sich zu drehen, wie ein echter Vogel! Plotzlich ging die Tur weit auf - Saschas Vater war aus der Stadt gekommen. "Papa ist da!" rief Sascha freudig, sprang aus dem Bett und warf sich dem Vater in die Arme.

Dann sassen sie alle um den Samowar, tranken duftenden Tee und assen kostliche Piroggen mit Pilzen und Fischpasteten. Der Grossvater hat, wie sich herausstellt, wieder mit dem Fischen begonnen. Neben Sascha auf der Bank sitzt zufrieden der rote Kater Vassili. Die Erwachsenen reden uber Saschas Mutter, die Stadt und die Schule. Die Gro;mutter zeigt ihre selbstgewebten bunten Teppichlaeufer, die sie den G;sten mit auf die Reise geben wird. Sascha schaut auf den goldenen Vogel, der sich unter der Decke dreht, als ob er sich gemeinsam mit ihnen auf den weiten Weg machen wollte. Er kann sich einfach nicht genug wundern. Schon denkt er daran, dass er im naechsten Jahr ganz sicher wieder zu Grossvater und Grossmutter kommen, Fische fur den Kater fangen und gleich lernen wird, einen solchen Vogel selbst zu machen.
Auf Wiedersehen, lieber Grossvater, liebe Grossmutter!