Das gerissene Seil

Ãåíðèõ Ðàí
Es geschah in den Alpen. Er, Parsus, ein erfahrener Bergsteiger, er hat sie fallen lassen. Wie konnte das passieren? Noch nie in seinem Leben hatte er so schrecklich versagt. Und nichts konnte er wieder gut machen. Und wie kam es blo; dazu?

Parsus und seine junge Frau machten einen Ausflug in das Gebirge. F;r ihn war es eigentlich Routine. Und er wollte seiner Frau zeigen, wie gut er in den Bergen war. Er kletterte schnell die steile Felsenwand hoch, machte akrobatische Tricks. Und seine Meike schaute begeistert zu. Nachmittags ;u;erte sie den Wunsch mitzumachen. Er lehnte es kategorisch ab. Aber Frauen sind einmal so. Sie lassen nicht nach, wenn es um ihren Ehrgeiz geht...

Schweren Herzens gab er nach. Er sicherte sie mit einem Seil und es ging los. Sie lernte schnell. Kaum hatten sie den Gipfel erreicht, schon bat Meike sich allein runter zu lassen. Er lie; sie langsam absteigen. Das Sicherheitsseil verband sie mit ihm. Er wartete, bis sie unten den Boden erreichte. Das Seil wurde schlapp. Dann schaute er nochmals nach unten, um festzustellen, ob Meike tats;chlich den Boden erreicht hatte. Ja, sie stand da unten und winkte.

Erleichtert begann Parsus den Abstieg ohne Sicherung und in wenigen Minuten stand er schon da unten, auf dem festen Boden. Die ;berraschung war gro;! Meike war verschwunden, sie war einfach nicht da. Nur ein gerissenes Seil baumelte abseits und zwar an der Stelle, wo sich eine tiefe Spalte ;ffnete. Aber wie, aber wie konnte das m;glich sein? Sein Verstand benebelte sich. Er glaubte, es w;re ein b;ser Traum. Parsus hat sie doch vorher deutlich gesichtet. Meike hatte hier auf dem festen Gestein gestanden und ihm zugewinkt. Und jetzt war sie nicht da! Unm;glich konnte sie in die Schlucht gefallen sein! Aber das gerissene Ende des Seils, seines Seils war der stumme Beweis...

Parsus schrie laut auf und lief rasend den Hang weiter herunter. Er versuchte seitlich in die Spalte zu gelangen, aber seine Kr;fte lie;en nach, er stolperte, fiel hin ... Da fanden ihn zwei andere Bergsteiger, die zuf;llig in der N;he gewesen waren und die wilde Schreien geh;rt hatten. Sie fanden Parsus zwischen zwei Zwergkiefern eingeklemmt ... und besinnungslos.

Als Parsus zu sich kam, floh er sofort. Es gab auch keine besonderen Schwierigkeiten. Am Sonntag war das Krankenhaus nicht komplett besetzt. Er fand seine Kleider im Nebenzimmer und haute einfach ab. Er trampte auf der Stra;e und hatte Gl;ck. Ein Trucker nahm ihn mit und nach einigen Stunden war er wieder in den Bergen. Eifrig lief er zu dem bekannten Felsen. Das Seil baumelte noch immer da. Er konnte es ber;hren. Und dann staunte er verwundert. Da, wo er stand, gab es festen Boden und keine, aber keine Spalte! Nicht nebenan und nicht anderswo. Zuerst dachte er, er w;re am falschen Ort. Doch der Felsen war einmalig und weit rundum gab es keinen vergleichbaren. Und das Seil trug auch seinen Namen, n;mlich Parsus. Es war deutlich mit ;lfarbe von ihm aufgetragen. Er schaute noch einmal hin. Eine steinerne Platte bildete den Fu; der Klippe. Parsus trat auf sie und versp;rte ein leichtes Zittern des Gesteins unter ihm...

Dann geschah etwas Unglaubliches. Die Platte l;ste sich und fiel wie ein Fahrstuhl in die finstere Tiefe und riss Parsus mit sich. Atemberaubend verlief die schnelle Fahrt. Mit einer
H;chstgeschwindigkeit, die nur das Licht ;ber¬treffen konnte, raste das Ding einige Zeit. Dann kam es pl;tzlich wieder auf die Erdoberfl;che zur;ck. Parsus atmete tief auf. Er war inzwischen fast erstickt. Wie in Trance taumelte er durch eine Gegend, die ihm v;llig unbekannt vorkam...

Eine rote W;stenlandschaft. Und am Horizont erhob sich ein feuriger Steinklotz, einsam und unheimlich. Ungewollt leuchtete ihm ein Hintergedanke ein. Wo hatte er schon mal so etwas gesehen? Dies waren bestimmt nicht die Alpen. Ja in ganz Europa gab es keine vergleichbare Gegend. Wo war er denn? Auf einem anderen Kontinent?

Nur Fragen, Fragen, Fragen ... Parsus schaute sich nochmals genau um. Neben ihm lag die Steinplatte, die ihn hierher gebracht hatte. Sie lag einfach da, auf dem roten Sandboden. Er konnte nicht fassen, was mit ihm geschehen war. Wie wurde er zu dieser Stelle transportiert? Er b;ckte sich und scharrte den Sand bei der Platte ab. Dann fand er pl;tzlich einen Knopf, einen bunten Zierknopf. Parsus glaubte seinen Augen nicht! Dieser Knopf geh;rte zu der Bluse, die Meike getragen hatte. Ein Aufschrei des Erstaunens stie; aus seiner Kehle. Der Mann sprang hoch vor Freude. "Meike, Meike!" rief er und schaute in alle Richtungen. Dann lauschte er und schrie weiter. Und nochmals und nochmals. Auf einmal h;rte er eine schwache Stimme, die wahrscheinlich von weitem zu ihm kam: "Hier, hier bin ich". Ja, ja, das war Meike! Parsus konnte diese Stimme seiner Meike von Tausenden unterscheiden!

Das war sie! Er antwortete heftig: "Meike, Meike! Warte auf mich! Ich komme!" Und der Gl;ckliche lief in die Richtung, von wo die fernen Rufe kamen. Sie kamen direkt von dem leuchtenden Bergmassiv, das einsam aus der W;stenebene herausragte. Aber es wurde dunkel und die Entfernung war noch immer sehr gro;. Parsus schien es, er k;me ;berhaupt nicht voran, so schnell er auch lief...

"Was nun, Meister" fragte Nok seinen Vorgesetzten. "Lass dir etwas einfallen. Du hast ja alle Mittel den Weg zu ver¬sperren. Die Kreatur soll die Pr;fungen bestehen. Oder l;sch' sie einfach aus".
"Jawohl, Meister, aber ich habe doch schon so viele ausgel;scht! Und diese gef;llt mir irgendwie. Sie ist so irrsinnig wagemutig"! antwortete Nok und h;rte die gleichg;ltige Stimme des Chefs: "Mitgef;hl ist ein Virus, den dieser Planet in unser Schiff eingeschleust hat. Es ist an der Zeit, den Krankheitserreger zu eliminieren. Aber erst beende endlich den Test. Dieser Mensch wird auch versagen und seine andere H;lfte, die Geliebte nicht retten. Damit wird endg;ltig bewiesen, dass die Theorie der stets siegreichen Liebe zwischen den Menschengeschlechtern falsch ist. Das bedeutet, dass die Zivilisation auf diesem Planeten keine Zukunft mehr hat und sie von uns ausgel;scht werden kann. Allerdings ist das die letzte Chance. Wenn diese m;nnliche und weibliche Kreaturen doch noch zusammenfinden, dann k;nnen wir unsere Entscheidung verschieben".
Nok wusste, was zu tun war. Er musste hart zu dem Wesen sein, sonst w;rde er selbst verlieren. Es ging weiter. Auf dem Bildschirm bewegte sich eine klitzekleine Figur...

Parsus blieb stehen und starrte in der Dunkelheit vor sich hin. Er f;hlte eine gewaltige M;digkeit und einen unmenschlichen Hunger. Augenblicklich verga; er, warum er sich hier befand. Er wollte schlafen und sackte zusammen. Aber, bevor er einschlief, sp;rte er eine zarte Parf;mwelle. Jemand ber;hrte ihn. Parsus schlug ungewollt die Augen auf... Eine junge Frau von anziehender Sch;nheit stand vor ihm. Sie kam ihm irgendwie bekannt vor. Aber er war sich noch nicht sicher... "Folge mir" fl;sterte sie und zog ihn an der Hand. Der gro;e Mond strahlte hell ;ber ihnen. In der N;he stand ein Landhaus. Seine Fenster leuchteten verlockend. Sie gingen hinein. Erst jetzt sah Parsus seine Begleiterin genau an. Oh mein Gott, sie sieht ja wie Meike aus, dachte er. "Wer sind Sie?" fragte er verzweifelt. "Deine Meike nat;rlich", lachte sie verwundert. "Komm, wir wollen zu Abend essen, mach es dir bequem", fuhr die Frau unbek;mmert fort. Parsus verschlug die Sprache. Er m;chte es glauben. Eine innerliche Stimme sagte ihm, dass dies wirklich Meike war. Aber etwas wollte er noch kl;ren. "Du warst ja so weit und unerreichbar und wie kommst du hierher? Bist du es wirklich"? "Mach keine Dummheiten, Liebling. Ich bin immer bei dir", zerstreute sie seinen Zweifel. Weiter konnte sich Parsus kaum konzentrieren. Der Tisch war reichlich gedeckt. Er a; gierig alles, was es da gab. Dann gingen sie zu Bett. Meike zog sich langsam aus. Parsus genoss immer diesen Moment. Er schaute sie an und verfolgte die Bewegungen. Sie kn;pfte ihre Bluse auf. Ja diese blaue Jeansbluse mochte er sehr...

Die bunten Kn;pfe. Eins, zwei, drei, vier, f;nf, sechs, sieben! Alle waren da! Nicht m;glich! Er wusste, dass einer fehlen sollte! Hatte sie ihn vielleicht schon ausgetauscht?! Parsus wurde hei;. Meike merkte nichts, legte die Kleider ab und ging ins Bad. Mit zitternden H;nden riss er einen Knopf von ihrer Bluse ab und verglich ihn mit dem, den er gefunden hatte. Sie stimmten ;berein. "Meike" murmelte er: "Ich habe versehentlich einen Knopf abgerissen, entschuldige". Die Frau kam zur;ck, l;chelte und nahm die Bluse vom Stuhl. "Aber Parsus, Liebling, da fehlen ja keine"...

Er starrte wieder die Bluse an. Sie hatte recht: es waren alle da! Sein Verstand benebelte sich. Er schaute den Raum genau an. Es war ihr gemeinsames Schlafzimmer. Was war mit ihm? Er kippte die Nachtlampe um. Sie zerschlug nicht und leuchtete weiter. Er riss das Kabel aus der Steckdose, aber das Licht ging nicht aus! "Was geht hier vor!" schrie er wild und fasste Meike am Arm: "Wer bist du?" Gelassen kam eine leise Antwort: "Beruhige dich bitte, komm zu mir". Sie umarmte ihn und zerrte ins Bett. Seine Meike hatte nie eine solche Kraft gehabt, dachte er. "Du bist nicht meine  Frau!" schrie er: "Du bist nicht Meike!" Mit letzter Kraft riss er sich los, st;rzte aus dem Haus und lief davon. ;ngstlich schaute er sich um. Es gab kein Haus mehr auch niemandem rundum. Nur die n;chtliche Stille und der fremde Sand unter seinen F;;en...

"Oh Gott“, schrie Parsus verzweifelt: "Gib mir meine richtige Meike zur;ck!" Er fiel auf den abgek;hlten Boden. Lange lag er so bewusstlos. "Parsus, rette, rette mich", h;rte er einen weiten Ruf, sprang auf und lief in die Richtung, von wo die Stimme kam. Im Morgengrauen stolperte er ;ber einen seltsamen Koffer. Der Deckel ;ffnete sich und er sah zahlreiche Geldscheine, fest verpackt. Parsus griff zu. Sofort trat eine innerliche Stimme auf: "Nimm dieses Geld und hau ab. Du brauchst keine Frau." Er konnte kaum widerstehen. Aber dann raffte er sich zusammen. "Verdammt!" schrie er: "Wer spielt mit mir!?!" Er stie; den Koffer von sich und lief weiter, seine Meike suchend.

Die Sonne stand hoch, als Parsus zum einsamen Felsen gelangte. Jetzt h;rte er noch deutlicher: "Parsus, Parsus, rette mich! Ich kann es nicht mehr aushalten". Das war tats;chlich Meikes Stimme. Er schaute nach oben und ihm wurde schlecht. Da, in der schwindelerregenden H;he, auf einem schmalen Vorsprung hing seine Frau, an einem kargen Strauch festgeklammert. Wie konnte sie nur dahin gekommen sein? Aber er hatte keine Zeit nachzudenken.

Sofort begann er den Aufstieg. Er hatte keine Ausr;stung. Es machte ihm nichts aus. Keck, wie ein Gecko, kletterte Parsus die steile Wand hinauf. Er versp;rte keine Angst um sich. Sein blanker Blick richtete sich ununterbrochen nach oben, nach dem wimmernden Weib, das nun auf ihn wartete...

Der hauchd;nne unsichtbare Faden, der die beiden verband, war st;rker als alle Sicherheitsseilen der Welt!
"Aus" sagte der Meister: "Ausgangsposition. Die Kreaturen haben die Pr;fung bestanden. Nok, bringe sie dahin, woher du sie genommen hattest. Sorge jedoch daf;r, dass die beiden sich an dieses Abenteuer nie erinnern k;nnen." Nok f;hrte den Befehl mit Vergn;gen aus.
 
Parsus nahm Maike in seine Arme. Nichts aber auch nichts konnte sie jetzt voneinander trennen. Sie erinnerten sich nicht daran, wie sie von diesem Felsvorsprung nach unten gekommen waren. Bestimmt wartete st;ndig auf sie beim Abstieg der sichere Tod. Aber das war jetzt nicht so wichtig. Zusammen sein - das war alles! Ein heftiger Wirbelsturm packte die Liebenden und zog sie in seinen engen Trichter hinein... Fest umklammernd, besinnungslos rasten Parsus und Meike durch das Erdwurmloch von Australien nach Europa zur;ck und zwar dahin, wo alles begonnen hatte, in die Alpen.

Es war am fr;hen Morgen. Der Tau glitzerte auf den Gr;sern. Am Fu;e des steilen Felsen standen Parsus und Meike. Ihr Zelt ruhte am Hange wie ein gro;er wei;er Schmetterling. "Liebling" fl;sterte Meike: "Kann ich mit dir auch weiterhin klettern? Gestern war ich doch gut, oder?" Ihr Mann schaute sie lange an. "Bestimmt kannst du, Liebste. Nur werde ich dich st;ndig sichern". Sie schauten nach oben.

An der Felsenwand baumelte ein gerissenes Seil!
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