Das wuerde weder Deutschland noch Russland nuetzen

Вольфганг Акунов
RLD

"DAS WUERDE WEDER DEUTSCHLAND NOCH RUSSLAND NUETZEN"

Im Interview zeigt der Historiker Wolfgang Akunow die positiven Seiten der deutsch-russischen Beziehungen auf und raet zu mehr Verstaendnis im gemeinsamen Umgang

BBl: Sehr geehrter Herr Akunow, wenn jetzt zum 100-jaehrigen Jubilaeum in Deutschland ueber den Ersten Weltkrieg berichtet wird, sieht und hoert man vor allem von den Schlachten im Westen. Verdun sagt vielen jungen Menschen mehr als Tannenberg. Fehlt den Deutschan heutzutage der historische Blick nach Osten?

Akunow: Ich moechte das nicht pauschalisieren. Aber da ist schon etwas Wahres dran. Die russische Armee im Ersten Weltkrieg wurde schon damals etwas abwertend als "die russische Dampfwalze" bezeichnet. Indessen haette es z.B. ohne die russische Offensive im August 1914 in Ostpreussen das "Wunder an der Marne" nicht gegeben. Die zwei russischen Armeen der Generaele Samsonoff und von Rennenkampff haben sich aufgeopfert, um Paris zu retten. Die Deutschen waren gezwungen, mehrere kampfstarke Divisionen von der Westfront abzuziehen, um den Russen in Ostpreussen erfolgreich die Stirn bieten zu koennen. Die russische Armee hat die oesterreichisch-ungarische Streitmacht derart geschwaecht, dass diese ab Ende 1914, geschweige denn, nach der Brussiloff-Offensive 1916, ausserstande war, den Russen an der Ostfront ohne deutsche Hilfe erfolgreich Paroli zu bieten. Deutschland musste die schwankende oesterreichisch-ungarische Front immer wieder durch Truppen unterstuetzen, die von der Westfront abgezogen wurden, und dadurch den deutschen Druck auf die Franzosen und Briten beachtlich schwaechen, auch vor Verdun.

BBl: Die deutsch-russischen Beziehungen waren in den vergangenen Jahrhunderten durchaus wechselhaft. Die Spanne reicht von freundschaftlicher Kooperation bis hin zum Vernichtungskrieg. Scheitert eine langfristige friedliche Kooperation zwischen den beiden Laendern auch aktuell - Stichwort Ukraine - wieder an aussenpolitischen Gegegnsaetzen?

Akunow: Das moechte ich nicht glauben.

BBl: Sie sehen also keine Gefaehrdung durch die aktuelle aussenpolitische Lage fuer die deutsch-russischen Beziehungen?

Akunow: Momentan sehe ich trotz aller Rhetorik keine ernste Gefaehrdung. Es waere sehr schade, wenn es, zu meinem groessten Bedauern, dennoch dazu kommen sollte. Das wuerde weder Deutschland noch Russland nuetzen.

BBl: Derzeit scheint es, als wuerde "der Russe" wieder als Feindbild aufgebaut. Koennen Sie unseren Lesern positive Beispiele aus der Vergangenheit zu Russland geben?

Akunow: Aber gern. Wenn die Russen in den Napoleonischen Kriegen Oesterreich und Preussen - denen sich erst spaeter auch andere deutsche Staaten anschlossen - nicht tatkraeftig unterstuetzt haetten, haetten sie allein Napoleon nie und nimmer besiegen koennen. Es genuegt nur auf die russisch-oetserreichische Waffenbruederschaft bei Austerlitz 1805 und auf die russisch-preussische Waffenbruederschaft 1807 bei Preussisch-Eylau und Friedland hinzuweisen. In den Befreiungskriegen 1813, wobei die Leipziger Voelkerschlacht ganz besonders hervorzuheben waere, und auf den franzoeischen Schlachtfeldern bis zur Einnahme von Paris 1814 kaempfte man zusammen. Es war der russische Zar Alexander I., der im Tilsiter Frieden 1807 von Napoleon I. den Erhalt des preussischen Staates erzwang. Bei Napoleons Einfall in Russland 1812 dienten zahlreiche deutsche Militaers wie zum Beispiel Carl von Clausewitz und Staatsmaenner wie Freiherr von Stein dem russischen Zaren. Denken Sie an Tauroggen 1813! An die preussisch-russische Schlesische Armee unter Generalfeldmarschall Bluecher. An die Rettung der oesterreichischen Monarchie vor der ungarischen Revolution, die nur dank der Hilfe russischer Truppen 1849 niedergeschlagen werden konnte. Auch der Sieg der Deutschen ueber Napoleon III. im Deutsch-franzoesischen Krieg 1871 waere ohne russische Rueckendeckung undenkbar. Es sei auch an die antibolschewistische deutsch-russische Westarmee des Fuersten Bermondt-Awaloff im Baltikum 1919 erinnert, die zwar den Raenken der Entente erlag, jedoch ein glaenzendes Beispiel der deutsch-russischen Waffenbruederschaft lieferte - und das kurz nach dem Ersten Weltkrieg!

Man koennte noch viele andere Beispiele dieser Art anfuehren, aber ich glaube, das sollte genuegen.

BBl: Derzeit setzt Praesident Putin die Interessen Russlands konsequent um. Geht davon eine Gefahr fuer Deutschland und Europa aus? Und welche Interessen sollte Deutschland in der Ukraine vertreten?

Akunow: Jeder verantwortungsbewusste Staats- und Regierungschef ist schliesslich dazu da, um die Interessen des eigenen, und nicht etwa eines anderen Staates konsequent zu vertreten, nicht wahr? Allein daraus erwaechst meines Erachtens keine Gefahr fuer die Nachbarstaaten. Deutschland sollte aber natuerlich seine eigenen, also deutsche Interessen in der Ukraine vertreten.

BBl: Die baltischen Staaten und die NATO betrachten die Entwicklungen in der Ukraine mit Sorge. Reagiert Russland jedoch nicht auch mit Sorge? Schliesslich expandiert die NATO gen Osten...

Akunow: Sie sagen das. Ich bin fest davon ueberzeugt, dass Russland - allen schweren Pruefungen zum Trotz, die es in seiner leidvollen Geschichte bestehen misste - eine europaeische, durch die westliche Kultur und christliche Religion gepraegte Nation ist und bleibt. Europa sollte alles dran setzen, um Russland nicht durch unueberlegte Schritte abzustossen, um es nicht zu zwingen, sich nach anderen, ihm und Europa fremden, in Asien, im Osten liegenden Orientierungspunkten umzuschauen. Ich persoenlich wuerde dies sehr bedauern, weil ich jeglichen "Eurasianismus" fuer ein absolut kuenstliches Konstrukt halte, das dem russischen, im Grunde - trotz aller Aufschichtungen - durch und durch europaeischen, christlichen, abendlaendischen Wesen voellig fremd ist. Ich bin fuer ein Europa von Dublin bis Wladiwostok.

BBl: Es klingt wieder nach Kaltem Krieg. Sie waren der Dolmetscher im Prozess von Mathias Rust. 1987 landete der (West)-Deutsche mit einem Flugzeug unweit des Roten Platzes in Moskau. Eigentlich eine verrueckte Aktion in Zeiten des kalten Krieges. Bedarf es aber auch nicht manchmal solcher verrueckter Aktionen, um zu zeigen, dass man immer wieder ein Gespraech suchen sollte?

Akunow: Man kann nicht genug Friedens- und Versoehnungsboten haben. Ein altes russisches Sprichwort lautet: "Lieber ein schlechter Frieden als ein guter Krieg!"

BBl: Sie waren bereits al Referent bei einer Burschenschaft. Wie hat es Ihnen dort gefallen? Und sollten sich Burschenschaften offensiver mit Russland und Russen auseinandersetzen?

Akunow: Das waren mit die schoensten Tage meines Lebens. Und ich meine es wirklich ganz ehrlich. Ich war wie zu Hause, ein Bruder unter Bruedern, wobei auch die Altersunterschiede gar keine Rolle spielten. Natuerlich sollte sich Ihre ehrenwerte Burschenschaft viel intensiver mit Russland und Russen beschaeftigen und austauschen. An meiner Wenigkeit wuerde es dabei nicht fehlen, da sage ich Ihnen gern jede Unterstuetzung zu. Da haben Sie meine Hand drauf!

BBl: Sehr geehrter Herr Akunow, vielen Dank fuer das Gespraech!

Akunow: Aber gerne. Solange man nicht nur voneinander, sondern vor allem miteinander spricht, versteht man sich.   

(Veroeffentlicht in: "BURSCHENSCHAFTLICHE BLAETTER" 1+2/2014, 129. Jahrgang).